Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)
Rainer Maria Rilke (1875–1926), einer der größten Magier der deutschen Sprache, und, unter den Lyrikern unumstritten einer der ersten, wird man in vielen Balladensammlungen vergebens suchen.. Schon bei der ersten Lektüre der Ballade über Karl den Zwölften von Schweden fällt der uns ungewohnte Sprachgebrauch auf. Auffallend ist auch das Fehlen eines einheitlichen Reimschemas und gleichmäßiger Strophen. Zwar sind die traditionellen Elemente wie Epik, Dramatik und vor allem Lyrik vereint und doch haben wir Mühe, dieses Gedicht eindeutig in die Gattung der Ballade einzuordnen.
Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine
Könige in Legenden
Sind wie Berge im Abend. Blenden
jeden, zu dem sie sich wenden.
Die Gurte um ihre Lenden
und die lastenden Mantelenden
sind Länder und Leben wert.
Mit den reichgekleideten Händen
geht, schlank und nackt, das Schwert.
Ein junger König aus Norden war
in der Ukraine geschlagen.
Der hasste Frühling und Frauenhaar
und die Harfen und was sie sagen.
Der ritt auf einem grauen Pferd,
sein Auge schaute grau
und hatte niemals Glanz begehrt
zu Füßen einer Frau.
Keine war seinem Blicke blond,
keine hat küssen ihn gekonnt;
und wenn er zornig war,
so riss er seinen Perlenmond
aus wunderschönem Haar.
Und wenn ihn Trauer überkam,
so machte er ein Mädchen zahm
und forschte wessen Ring sie nahm
und wem sie ihren bot –
und hetzte ihr den Bräutigam
mit hundert Hunden tot.
Und er verließ sein graues Land,
das ohne Stimme war,
und ritt in einen Widerstand
und kämpfte um Gefahr,
bis ihn das Wunder überwand:
wie träumend ging ihm seine Hand
von Eisenband zu Eisenband
und war kein Schwert darin;
er war zum Schauen aufgewacht:
es schmeichelte die schöne Schlacht
um seinen Eigensinn.
Er saß zu Pferde: ihm entging
Keine Gebärde rings.
Auf Silber sprach jetzt Ring zu Ring,
und Stimme war in jedem Ding,
und wie in vielen Glocken hing
die Seele jedes Dings.
Und auch der Wind war anders groß,
der in die Fahnen sprang,
schlank wie ein Panther, atemlos
und taumelnd vom Trompetenstoß,
der lachend mit ihm rang.
Und manchmal griff der Wind hinab:
Da ging ein Blutender, – ein Knab,
welcher die Trommel schlug;
er trug sie immer auf und ab
und trug sie wie sein Herz ins Grab
vor seinem toten Zug.
Da wurde mancher Berg geballt,
als wär die Erde noch nicht alt
und baute sich erst auf;
bald stand das Eisen wie Basalt,
bald schwankte wie ein Abendwald
mit breiter steigender Gestalt
der großbewegte Hauf.
Es dampfte dumpf die Dunkelheit,
was dunkelte war nicht die Zeit, –
und alles wurde grau,
aber schon fi el ein neues Scheit,
und wieder ward die Flamme breit
und festlich angefacht.
Sie griffen an, in fremder Tracht
Ein Schwarm phantastischer Provinzen;
Wie alles Eisen plötzlich lacht:
von einem silberlichten Prinzen
erschimmerte die Abendschlacht.
Die Fahnen fl atterten wie Freuden,
und Alle hatten königlich
in ihren Gesten ein Vergeuden, –
an fernen fl ammenden Gebäuden
entzündeten die Sterne sich...
Und Nacht war. Und die Schlacht trat sachte
zurück wie ein sehr müdes Meer,
das viele fremde Tote brachte,
und alle Toten waren schwer.
Vorsichtig ging das graue Pferd
(von großen Fäusten abgewehrt)
durch Männer, welche fremd verstarben,
und trat auf fl aches, schwarzes Gras.
Der auf dem grauen Pferde saß,
sah unten auf den feuchten Farben
viel Silber wie zerschelltes Glas.
Sah Eisen welken, Helme trinken
Und Schwerter stehn in Panzernaht,
sterbende Hände sah er winken
mit einem Fetzen von Brokat...
Und sah es nicht.
Und ritt dem Lärme
der Feldschlacht nach, als ob er schwärme,
mit seinen Wangen voller Wärme
und mit den Augen von Verliebten...