Das Rolandslied (franz. La Chanson de Roland)
(zwischen 1075 und 1110 entstanden) ist ein altfranzösisches Versepos über das heldenhafte Ende Rolands. Trotz des Namens handelt es sich nicht um einen liedhaften oder lyrischen Text, sondern um ein episches "Heldentatenlied" (Chanson de geste), das in der Regel von professionellen Spielleuten (Jongleur = Bänkelsänger) in einer Art Singsang vorgetragen wurde. Um das Rolandslied herum ist ein Epenzyklus entstanden, der zum Teil auch außerhalb Frankreichs Verbreitung fand.
Es gibt sieben erhaltene altfranzösische Handschriften von diesem Epos; dazu noch drei Fragmente. Die wichtigsten sind die sogenannte Oxforder Handschrift, die im 2. Viertel des 12. Jahrhunderts offenbar auf englischem Boden entstanden ist und deren Sprache stark vom anglonormannischen Dialekt gefärbt ist, und eine venezianische Handschrift, die jedoch nur 3845 der gut 4000 Verse des Werkes enthält.
Historische Vorlage ist das Ende des fränkischen Markgrafen Hruotland im Jahr 778; der Autor des Rolandslieds ist allerdings unbekannt. Zwar spricht der letzte Vers von "la geste que Turoldus declinet", doch ist nicht klar, ob mit diesem Turoldus der ursprüngliche Autor oder ein Bearbeiter/Redakteur oder aber der Spielmann bezeichnet ist, der dem Schreiber der Handschrift das Epos diktiert hat.
So hat ein Turoldus genannter Krieger in der Schlacht von Hastings (1066) eine Art "Ur-Rolandslied" gesungen.
In Deutschland wurde das Rolandslied um 1170 durch Konrad den Pfaffen übertragen, wobei diverse national-französische Aspekte durch allgemein christliche ersetzt wurden.
Die Handlung
Roland stürmt den Tempel Mahomets (P, fol. 57v) Diese Abbildung entstammt aus der Heidelberger Handschrift P (Cod. Pal. germ. 112, Ende 12. Jh.).Im Zentrum der ersten zwei Drittel des Textes steht Roland, im letzten Drittel eher Karl der Große. Kaiser Karl hat in 7 Jahren Krieg fast das ganze maurisch-arabische Spanien erobert, einzig die Stadt Saragossa mit König Marsilie widersteht noch. Seiner Unterlegenheit bewusst, bietet Marsilie zum Schein seine Unterwerfung und die Annahme des christlichen Glaubens an, um Karl so von einem Angriff abzubringen. Karl beruft den Rat der Barone ein, wo sich sein Neffe Roland für die Weiterführung des Krieges einsetzt, dessen Stiefvater (und Schwiegersohn Karls) Ganelon dagegen für Frieden. Karl, der schon 200 Jahre alt und kriegsmüde ist, stimmt Ganelon zu, worauf Roland diesen spöttisch als Botschafter vorschlägt. Ganelon nimmt den Auftrag an, sinnt jedoch verletzt auf Rache an seinem ungeliebten Stiefsohn. In diesem Sinne stellt er Roland bei Marsilie als Kriegstreiber dar, ohne dessen Beseitigung es keinen Frieden geben werde. Marsilie soll deshalb mit einer Übermacht die fränkische Nachhut überfallen; Ganelon will dafür sorgen, dass Roland sie befehligt. Alles geschieht wie geplant. Als Roland, sein Freund und Schwager in spe Olivier und mit ihnen 10 weitere Paladine Karls (die 12 Pairs) den Hinterhalt bemerken, drängt der besonnene Olivier sofort darauf, dass Roland in das Signalhorn Olifant stößt und Karls Heer zurückruft, doch der stolze Roland will keinen Anschein von Feigheit aufkommen lassen. In dem nun folgenden Kampf stehen die 12 Pairs als Helden im Vordergrund; die Nachhut ist Beiwerk und tritt nur ab und an mit Akklamationen ins Blickfeld. Bemerkenswert für heutige Leser ist, dass auch der Erzbischof Turpin wacker mitkämpft. Nach ersten Erfolgen der Franken triumphiert am Ende das heidnische Heer, alle Pairs und Mannen sind tot. Roland selbst ist tödlich verwundet, aber auch Marsilie ist dem Sterben nahe und sein Sohn ist gefallen.
Erst jetzt stößt Roland mit letzter Kraft in das Horn, Karl eilt herbei und schlägt die Angreifer in die Flucht. Roland stirbt, aber da er im Tod sein Gesicht und sein Schwert dem Feindesland zugewendet hat, gilt er als Sieger. Auch ein riesiges Heidenheer unter Emir Baliguant, das aus Afrika angelandet ist und seinerseits Marsilie zu Hilfe eilt, wird besiegt, nicht ohne dass Karl und Baliguant zum Zweikampf antreten.
Zurück in seiner Residenz Aachen lässt Karl Gericht halten über Ganelon, doch dessen mächtige Familie stellt sich schützend vor ihn; sein Verwandter Pinabel will ihn im gerichtlichen Zweikampf vertreten. Erst als Thierry d'Ardenne sich für die gerechte Sache zu kämpfen erbietet und Pinabel mit Gottes Hilfe besiegt, kann Ganelon samt seiner Familie bestraft werden. Dies allerdings verhindert nicht die Trauer und den Tod von Rolands junger Verlobten Aude. Karl dagegen hat eine Vision von Engeln, die ihm weitere Kämpfe verkünden.
Historischer Hintergrund
Basis der Handlung ist ein Heerzug, den Karl der Große 778 gegen die spanischen Mauren führte, aber abbrechen musste, möglicherweise um einen Aufstand der Sachsen niederzuschlagen. Hierbei kam die fränkische Nachhut im Pyrenäenort Roncesvalles (Navarra) in einen Hinterhalt, allerdings nicht von heidnischen Mauren, sondern von christlichen Vaskonen (Basken). Der Führer der Nachhut war möglicherweise Graf Hruotland (französisiert Roland), der als Markgraf der bretonischen Mark (Roland von Cenomanien) des Frankenreichs bezeugt ist. Mit ihm fielen der Graf Eginhard (von Metz) und Graf Anselm (von Worringen) am 15. August 778.
Deutung
Im Rolandslied geht es wie in vielen anderen dieser Epen um die Kriegszüge Kaiser Karls des Großen oder Kaiser Ludwigs des Frommen und/oder ihrer Heerführer gegen die "Heiden", d.h. die Araber, die seit ihrem Einfall nach Europa im Jahr 711/12 Süd- und Mittelspanien beherrschten. Die Thematik der Heidenkriege war lange Zeit aktuell, einmal dank der Reconquista (=Rückeroberung) Spaniens, die gegen 1000 vom christlich gebliebenen Nordspanien her intensiviert wurde, und zum anderen dank der 1095 beginnenden Kreuzzüge, d.h. der Versuche französisch-englisch-deutscher Ritterheere, das seit 500 Jahren von Moslems beherrschte Jerusalem zu erobern und das heilige Grab unter christliche Herrschaft zu bringen. Die Gattung der Chansons de geste scheint besonders in den Klöstern entlang der Pilgerstraßen durch Frankreich nach Santiago de Compostela in Nordwest-Spanien gepflegt worden zu sein, als Mittel zur Unterhaltung und Erbauung der dort jeweils übernachtenden Pilger.
Wirkung
Die Chanson de Roland war nicht nur in Frankreich wohlbekannt und verbreitet, sondern lieferte auch die Vorlage oder den Stoff für zahlreiche Übertragungen, Bearbeitungen und sonstige Texte in anderen europäischen Sprachen. Eine der bekanntesten Versionen war neben der oben erwähnten Übertragung des Pfaffen Konrad der berühmte italienische Versroman Orlando furioso (=der rasende Roland), den Ludovico Ariosto erstmals 1516 drucken ließ und der seinerseits dem Stoff neue große Verbreitung verschaffte.
Das Rolandslied bildete auch die Basis für die spätere Popularität der Rolandstatue in Europa.
Aufbau
Das Rolandslied besteht aus 4002 assonierenden Zehnsilbern in 290 Laissen, d.h. Strophen ungleicher Länge aber gleicher Assonanz. Inhaltlich ist es zweigeteilt:
1. Roland und sein Ende (Vers 1-2396)
2. Karl und sein Sieg über die Mauren samt dem Nachspiel in Aachen (Vers 2397-4002)
Weitere Charakteristika sind:
nationale Bezüge schon vor dem Aufkommen des Nationalismus
keine Referenz auf die Kreuzzüge, sondern auf die Reconquista
der religiöse Gegensatz zwischen Christen und Mauren wird deutlich herausgestellt, doch bleiben die Letzteren bloße Heiden. Das Wesen des Islam scheint unbekannt, die "Heiden" werden gleichzeitig als Anbeter Mohammeds, Apollos und anderer Gottheiten dargestellt.
es gibt keine Anrede an den Leser und keine Einleitung. Der Hörer war sofort "medias in res".
Analyse
Franz Borkenau hat als Soziologe das Rolandslied als programmatisches Epos erschlossen, das den Übergang vom Heldentum der Völkerwanderung zur normannischen Heeresdisziplin kennzeichnet (Ende und Anfang, Stuttgart: Klett-Cotta 1984. S. 489-507).