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Das Epos ist die historisch früheste narrative Großform. Stofflich ist es an geschichtliche, mythologische oder märchenhafte Überlieferungen gebunden, die in mündlicher Form weitergegeben wurden. Auch das Epos selbst wurde dem Publikum von einem Sänger (griechisch: Rhapsode) mündlich vorgetragen. Geschichtlich kann man das antike und mittelalterliche Epos verstehen als Selbstdarstellung vorbürgerlicher Gesellschaften mit ihren Normen und Werten. Es entfaltet die Weltordnung vor allem der kriegerisch-höfischen Oberschicht in Abenteuerfahrten und kämpferischen Auseinandersetzungen, die ein Held unternimmt, der als Leitbild der jeweiligen Gesellschaft dient. Der Held dieser Epopöe, wie man nach älterem Sprachgebrauch auch sagte, ist in der an Hegel anschließenden Formulierung von Georg Lukács, "strenggenommen, niemals ein Individuum. Es ist von alters her als Wesenskennzeichen des Epos betrachtet worden, daß sein Gegenstand kein persönliches Schicksal, sondern das einer Gemeinschaft ist." ( S. 64f.)
Das Epos wird kollektiv hervorgebracht, handelt von diesem Kollektiv und seiner Geschichte und ist auch an dieses Kollektiv adressiert. Dadurch, daß es ein Identitätsbewußtsein spiegelt und schafft, erhält es eine wichtige Funktion für ganze Kulturkreise oder Nationen (Nationalepos). Dabei sind Helden und Stoffe überwiegend im Grenzbereich von Geschichte, Mythos und Sage angesiedelt. Mythische Figuren und Götter greifen in das Geschehen ein, historisch verbürgte Personen gewinnen als epische Helden eine sagenhafte Eigenexistenz. Kennzeichnend für die erzählerische Darbietungsweise sind der gehobene, oft pathetische und damit den heroischen Taten angemessene Sprachstil. Dabei verzichtet das Epos jedoch auf die Problematisierung der erzählten Welt- und Wertordnung. Reflexion oder Ironie sind ihm fremd. Die Form der lockeren Aneinanderreihung von Abenteuern ist offen für Einschübe, Episoden oder sekundäre Erzählstränge. Diese tendenzielle Formlosigkeit wird jedoch meist durch äußere Gliederung - in Bücher oder Gesänge - sowie durch einen formelhaften Stil gebändigt. Darunter sind vor allem stehende Wendungen, typisierende Attribute (sogenannte Epitheta wie "der listenreiche Odysseus" oder "Zeus' blauäugichte Tochter Athene") oder der Anruf der Musen durch den epischen Erzähler zu verstehen.
Aus der vielfältigen frühorientalischen Epik ragt das Gilgamesch-Epos heraus, das die Heldentaten und das Schicksal des Sumererkönigs Gilgamesch und seines Freundes Enkidu (3. Jahrtausend v. Chr.) erzählt. Im europäischen Raum werden die beiden ältesten Literaturwerke zugleich als der Höhepunkt epischer Dichtung überhaupt angesehen: Es handelt sich um die griechischen Hexameterdichtungen Ilias und Odyssee. Sie beruhen zwar auf älteren Überlieferungen, wurden aber in ihrer heute bekannten Form im 8. Jahrhundert v. Chr. schriftlich fixiert. Traditionell werden sie dem blinden Rhapsoden Homer zugeschrieben, um dessen Existenz und Autorschaft jedoch bis heute gestritten wird. Während die Ilias eine einundfünfzigtägige Episode aus dem Kampf der Griechen gegen die Stadt Troja beschreibt, ist die Odyssee der zehn Jahre dauernden Heimkehr des Odysseus von Troja nach Ithaka gewidmet.
Für die griechisch-lateinische Antike waren diese Epen in hohem Maße traditionsstiftend, sie wurden zum Inbegriff von Dichtung schlechthin. Für das Mittelalter hingegen wird diese Funktion von einem lateinischen Epos, der Aeneis des Vergil eingenommen. Vergil schließt bewußt an die "homerischen" Epen an, wenn er in seiner Hexameterdichtung die Irrfahrten des aus Troja geflohenen Aeneas erzählt. Zugleich wird dieser Bericht von der Landnahme des Aeneas in Latium und der Vorausdeutung auf die römische Weltherrschaft zu einem römischen Nationalepos. Ähnlich verhält es sich mit dem Nibelungenlied (13. Jahrhundert) im deutschsprachigen Raum oder mit den verschiedenen Chansons de geste (z.B. der Chanson de Roland um 1100) und den Versepen Chrétien de Troyes um den keltischen König Artus für Frankreich. An der Schwelle zur Renaissance entstand Dantes christliches Monumentalwerk La Divina Commedia (1307-21), das die italienische Literatur begründete. Die verbreitete Rückbesinnung auf die Antike in der Renaissance und dem Humanismus beförderte in der Folge die Entstehung verschiedener epischer Dichtungen, die nicht selten ein bewußter Versuch waren, ein Nationalepos zu schaffen. So zum Beispiel die italienischen Ritterepen von Ariosto (L´Orlando furioso) und Torquato Tasso (La Gerusalemme liberata), in England Edmund Spensers The faerie queen oder John Miltons biblisches Epos Paradise lost. Zunehmend wurde jedoch im 18. und 19. Jahrhundert sichtbar, daß die überkommene Form des Epos zur Darstellung der differenzierter werdenden Wirklichkeit nicht mehr in der Lage war. Immer spürbarer wurde das Bedürfnis, die epische Perspektive auf begrenzte Realitätsausschnitte zu richten und die Aussageabsichten spezieller zu gestalten (z.B. religiös, politisch, satirisch, idyllisch). Zur umfassenden Darstellung dieser neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit bedurfte es einer anderen Form. An die Stelle des Epos war bereits der Roman getreten.
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[ Editiert von Administrator Gemini am 24.04.06 16:28 ]