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#1

RE: Oscar Wilde

in andere Erzähler, die auch nicht vergessen werden sollten 17.12.2006 18:00
von mande (gelöscht)
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Dieses Märchen gehört zu meinen Lieblingsgeschichten.



Der selbstsüchtige Riese

Jeden Nachmittag, wenn die Kinder aus der Schule kamen, gingen sie in den Garten des Riesen, um darin zu spielen.
Es war ein großer, wunderschöner Garten, mit weichem grünem Gras. Hier und da lugten .aus dem Grase herrliche Blumen wie Sterne, und zwölf Pfirsichbäume standen da, die sich im Frühling mit duftigen Blüten blassrot und perlenfarbig übersprühten und im Herbst eiche Frucht trugen. Die Vögel saßen in den Bäumen und sangen so süß, dass die Kinder oft in ihren Spielen innehielten, um zu lauschen. "Wie glücklich sind wir hier!" rief eines dem andern zu.
Eines Tages kam der Riese heim. Er war bei seinem Freund, dem Werwolf von Cornwall, zu Besuch gewesen und sieben Jahre bei ihm geblieben. Als die sieben Jahre um waren, hatte er alles gesagt, was er zu sagen wusste, denn seine Unterhaltungsgabe war beschränkt; und so beschloss er, nach Haus in sein eigenes Schloss zurückzureisen. Da er nun heimkehrte, sah er die Kinder in seinem Garten spielen.
"Was macht ihr hier?" schrie er mit sehr barscher Stimme, und die Kinder liefen davon.
"Was mir gehört, gehört mir, und mein Garten ist mein Garten", sagte der Riese", das ist doch ganz klar, und ich erlaube keinem, darin zu spielen, außer mir selber. "Also baute er eine hohe Mauer ringsherum und stellte eine Warnungstafel auf.

Unbefugten ist der Zutritt
bei Strafe verboten!

Er war ein sehr eigensüchtiger Riese.
Die armen Kinder hatten nun keine Stelle, wo sie spielen konnten. Sie versuchten es auf der Straße, aber die Straße war so staubig und voll harter Steine, und sie mochten sie gar nicht leiden. Wenn die Schulstunden zu Ende waren, liefen sie immer und immer wieder um die hohe Mauer und sprachen von dem schönen Garten drinnen. Wie glücklich waren wir dort", sagte eines zum andern.
Dann kam der Frühling, und überall im ganzen Land waren kleine Blüten und kleine Vögel. Nur im Garten des eigensüchtigen Riesen blieb es Winter. Den Vögeln machte es keinen Spaß, darin zu singen, weil die Kinder nicht da waren, und die Bäume vergaßen zu blühen. Einmal steckte eine schöne Blume ihren Kopf aus dem Grase, aber als sie die Warnungstafel sah, taten ihr die Kinder so leid, dass sie wieder in den Erdboden schlüpfte und weiterschlief. Die einzigen, denen das alles gefiel, waren der Schnee und der Frost. "Der Frühling hat diesen Garten vergessen", riefen sie, "da wollen wir das ganze lange Jahr hier bleiben." Der Schnee bedeckte das Gras mit seinem großen weißen Mantel, und der Frost malte alle Bäume silberweiß. Dann luden sie noch den Nordwind zu ihrer Gesellschaft ein, und er kam. Er war in Pelze gepackt und brüllte den lieben langen Tag durch den Garten und blies die Schornsteinaufsätze herunter. "Das ist ein entzückendes Fleckchen", sagte er, "wir müssen den Hagel auffordern, dass er uns besucht." Also kam auch der Hagel. Alle Tage prasselte er drei Stunden auf das Dach des Schlosses, bis er die meisten Schieferplatten zerbrochen hatte, und dann rannte er in einem fort durch den Garten, so schnell er nur laufen konnte. Er war ganz in Grau gekleidet, und sein Atemhauch war wie Eis.
"Ich kann nicht verstehen, warum der Frühling gar so spät kommt", sagte der eigensüchtige Riese, als er einmal am Fenster saß und in seinen kalten weißen Guten hinausblickte. "Hoffentlich ändert sich das Wetter bald."
Aber der Frühling kam nicht, und auch nicht der Sommer. Der Herbst brachte goldene Früchte in jeden Garten, doch dem Garten des Riesen brachte er nichts. "Er ist allzu selbstsüchtig", sagte der Herbst. So blieb es dort beständig Winter, und Nordwind und Hagel, Frost und Schnee tanzten zwischen den Bäumen umher.
Eines Morgens lag der Riese wach im Bett; da hörte er eine liebliche Musik. Es klang seinen Ohren so hold, dass er dachte, des Königs Musikanten zögen vorbei. In Wirklichkeit sang nur ein kleiner Hänfling draußen vor dem Fenster; aber da der Riese so lange schon keinen Vogel mehr in seinem Garten hatte singen hören, erschien ihm das als die herrlichste Musik der Welt. Nun tanzte der Hagel nicht weiter über seinem Kopf herum, und der Nordwind brüllte nicht mehr, und ein köstlicher Duft schwebte durch das offene Fenster in sein Zimmer. "Ich glaube, jetzt endlich ist der Frühling da", sagte der Riese; und er sprang aus dem Bett und schaute hinaus.
Und was sah er?
Er sah ein höchst wunderbares Bild. Durch ein kleines Loch in der Mauer hatten sich die Kinder hereingestohlen und saßen nun in den Ästen der Bäume. In jedem Baum, den er sehen konnte, saß ein kleines Kind. Und die Bäume waren so froh, die Kinder wiederzuhaben, dass sie sich selber in Blüten gekleidet hatten, und sie wiegten ihre Arme freundlich über den Köpfen der Kinder. Die Vögel flogen hin und her und zwitscherten vor Wonne, und die Blumen guckten aus dem grünen Gras und lachten. Anmutig anzuschauen war das alles, nur in einem Winkel herrschte der Winter noch. Es war der entfernteste Winkel des Gartens, und dort stand ein kleiner junge. Er war so winzig, dass er zu den Ästen nicht hinauflangen konnte, und er lief immerzu rund um den Baum und weinte bitterlich. Der arme Baum war noch ganz mit Reif und Schnee bedeckt, und der Nordwind schnob und brüllte über ihn hin. Steig herauf, kleiner junge!" sagte der Baum und neigte seine Zweige, so tief er konnte; aber der junge war zu winzig klein.
Und des Riesen Herz schmolz dahin, als er hinuntersah. "Wie eigensüchtig bin ich gewesen!" sagte er. "Jetzt weiß ich, warum der Frühling nicht hierher kommen wollte. Ich will das arme kleine Jungchen ganz oben auf den Baum setzen, und dann will ich die Mauer niederreißen, und in meinem Garten sollen die Kinder spielen immerdar." Er war wirklich sehr betrübt über das, was er getan hatte.
Also ging er auf Fußspitzen treppab und öffnete ganz sachte die Haustür und trat hinaus in den Garten. Doch als die Kinder ihn sahen, erschraken sie sehr und liefen alle davon, und im Garten wurde wieder Winter. Nur der kleine Junge rannte nicht fort, denn seine Augen waren so voll Tränen, dass er den Riesen nicht kommen sah. Und der Riese schlich sich hinter ihn und nahm ihn sanft auf seine Hand und hob ihn hinauf in den Baum. Und der Baum brach mit einemmal in Blüten, und die Vögel kamen und sangen in ihm, und der kleine junge streckte seine beiden Arme aus und schlang sie um des Riesen Hals und küsste ihn. Und die anderen Kinder sahen, dass der Riese nicht mehr böse war, und sie kamen zurückgelaufen, und mit ihnen kam der Frühling. "Das ist nun euer Garten, Kinderchen", sagte der Riese, und er nahm eine große Axt und riss die Mauer ein. Und als die Leute mittags zu Markte gingen, sahen sie, wie der Riese mit den Kindern spielte, in dem schönsten Garten, den sie je erschaut.
Den ganzen Tag über spielten sie, und am Abend kamen sie zu dem Riesen, ihm gute Nacht zu sagen. "Aber wo ist euer kleiner Spielgefährte?" fragte er, "der Junge, den ich in den Baum gehoben habe?" Der Riese liebte diesen am zärtlichsten, denn der hatte ihn geküsst. "Das wissen wir nicht", antworteten die Kinder, "er ist weggegangen."
"Ihr müsst ihm bestellen, dass er morgen ganz bestimmt herkommen soll", sagte der Riese. Doch die Kinder sagten, sie wüssten nicht, wo er wohne, und sie hätten ihn nie vorher gesehen; und das machte den Riesen sehr traurig.
Jeden Nachmittag, wenn die Schule aus war, kamen die Kinder und spielten mit dem Riesen. Der kleine Junge jedoch, den der Riese liebte, ward nicht wieder gesehen. Der Riese war sehr freundlich zu den Kindern allen, aber er sehnte sich nach seinem ersten kleinen Freunde und sprach oft von ihm. "Wie gern würde ich ihn wiedersehen!" sagte er dann immer.
Jahre vergingen, und der Riese wurde sehr alt und schwach. Er konnte nun nicht mehr draußen spielen; so saß er in einem riesigen Großvaterstuhl und sah den Kindern bei ihren Spielen zu und ergötzte sich an seinem Garten. "Viele schöne Blumen habe ich", sagte er, "aber die Kinder sind die schönsten von allen."
Eines Wintermorgens, als er sich eben anzog, blickte er zufällig aus dem Fenster. Er hasste den Winter jetzt nicht mehr, denn er wusste, dass der Winter nichts ist als der schlummerte Frühling und dass die Blumen währenddes nur ausruhen.
Plötzlich rieb er sich die Augen vor Staunen und schaute und schaute. Es war auch wirklich ein zauberischer Anblick. Im entferntesten Winkel des Gartens war ein Baum ganz bedeckt mit lieblichen weißen Blüten. Seine Zweige waren von lauterem Gold, und Silberfrüchte hingen von ihnen nieder, und unter dem Baum stand der kleine Junge, den er geliebt hatte.
Die Treppe hinab lief der Riese in großer Freude und hinaus in den Garten. Er ging eilends über den Rasen auf das Kind zu, und als er ganz dicht heran war, rötete sich sein Gesicht vor Zorn, und er sagte: "Wer hat gewagt, dich zu verwunden?" Denn in des Kindes Händen waren die Male zweier Nägel, und die Male zweier Nägel waren an seinen kleinen Füßen.
"Wer hat gewagt, dich zu verwunden?" rief der Riese. Sag es mir, auf dass ich mein großes Schwert nehme und ihn erschlage."
"Nein!" erwiderte das Kind, "nein, denn dies sind die Wunden der Liebe."
"Wer bist du?" sagte der Riese, und eine seltsame Scheu überfiel ihn, und er kniete nieder vor dem kleinen Kinde.
Und das Kind lächelte auf zu dem Riesen und sprach zu ihm: "Einst ließest du mich in deinem Garten spielen; heut sollst du in meinen Garten mit mir kommen, der da ist das Paradies."
Und als die Kinder an diesem Nachmittag hereingesprungen kamen, fanden sie den Riesen tot unter dem Baume liegen, ganz überdeckt von weißen Blüten.

Mit märchenhaften Grüssen,
mande


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#2

RE: Oscar Wilde

in andere Erzähler, die auch nicht vergessen werden sollten 18.12.2006 13:19
von Gemini | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte

meines war und ist dieses, zum Heulen schön für den Romantiker und so wahrhaftig für den Zyniker

Die Nachtigall und die Rose

"Sie würde mit mir tanzen, hat sie gesagt, wenn ich ihr rote Rosen brächte!" rief der junge Student.
"Aber in meinem Garten ist keine rote Rose."
Die Nachtigall hörte ihn aus ihrem Neste in der Steineiche
und sie guckte durch die Blätter und wunderte sich.
"Es gibt keine einzige rote Rose in meinem ganzen Garten !"
rief er aus und seine schönen Augen füllten sich mit Tränen.
"Ach, von welchen kleinen Dingen hängt das Glück zuweilen ab.
Ich habe alles gelesen, was die weisen Männer geschrieben haben,
alle Geheimnisse der Philosophie sind mir offenbar,
und weil ich keine rote Rose habe, ist mein Leben verpfuscht."

"Da ist endlich ein treuer Liebhaber", sagte die Nachtigall.
"Jede Nacht habe ich von ihm gesungen, obzwar ich ihn nicht kannte.
Nacht für Nacht habe ich seine Geschichte den Sternen erzählt
und nun sehe ich ihn von Angesicht.
Sein Haar ist dunkel wie die blühende Hyazinthe
und seine Lippen sind rot wie die Rose seiner Wünsche.
Aber Leidenschaft gab seinem Gesicht die Farbe des bleichen Elfenbeins und die Sorge setzte die Siegel auf seine Brauen."
"Der Prinz gibt morgen Abend einen Ball", murmelte der junge Student,
"und die, die ich liebe, wird dort sein.
Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie mit mir tanzen,
bis der Morgen anbricht.
Wenn ich ihr eine rote Rose bringe,
werde ich sie in meinen Armen halten
und ihre Hand wird in meiner Hand liegen.
Aber es gibt keine rote Rose in meinem Garten
und so werde ich einsam dasitzen und sie wird an mir vorübergehen.
Sie wird sich um mich nicht kümmern und mein Herz wird brechen."
"Das ist wirklich ein treuer Liebhaber", sagte die Nachtigall.
"Was ich besinge, leidet er.
Was Freude für mich ist, ist Schmerz für ihn. Liebe ist wirklich eine wundervolle Sache.
Liebe ist kostbarer als Smaragd und wertvoller als der feinste Opal.
Man kann sie nicht kaufen um Perlen und Granatäpfel
und sie ist auf dem Markte nicht zu haben.
Sie ist den Händlern nicht feil
und sie kann auf der Goldwage nicht gewogen werden."
"Die Musiker werden in der Galerie sitzen", sagte der Student,
"und sie werden die Saiten ihrer Instrumente streichen und die,
die ich liebe,
wird tanzen zum Ton der Harfen und Violinen.
Sie wird so leicht tanzen, daß ihre Füße nicht den Boden berühren werden,
und die Hofleute in den bunten Kleidern werden sich um sie drängen.
Aber mit mir wird sie nicht tanzen,
denn ich habe keine rote Rose um sie ihr zu geben",
und er warf sich ins Gras und vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte.


"Warum weint er denn?" fragte ein kleines Eidechslein,
das mit dem Schwänzlein in der Luft vorüber rannte.
"Warum weint er denn?" sagte ein Schmetterling,
der hinter einem Sonnenstrahl einhertanzte.
"Warum weint er denn?"
flüsterte ein Gänseblümchen zu seinem Nachbarn mit seiner weichen, tiefen Stimme.
"Er weint um eine rote Rose!" sagte die Nachtigall.
"Um eine rote Rose?" riefen alle, "wie lächerlich!"
Und die kleine Eidechse, die ein bißchen zynisch angelegt war, platzte mit Lachen heraus.
Aber die Nachtigall verstand den geheimnissvollen Kummer
des armen Jungen und sie saß schweigend in ihrem Baum
und dachte über das Geheimnis der Liebe nach.
Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel zum Fluge und erhob sich in die Luft.
Sie flog wie ein Schatten durch den Hain und segelte wie ein Schatten durch den Garten.
In der Mitte des Grasplatzes stand ein schöner Rosenbaum,
und als sie ihn erblickte, flog sie darauf zu und setzte sich auf ein Zweiglein.
"Gib mir eine rote Rose," sagte sie, "
und ich will dir mein süßestes Lied singen."
Aber der Baum schüttelte den Kopf.
"Meine Rosen sind weiß, so weiß wie der Schaum des Meeres
und weißer als der Schnee auf den Bergen
. Aber geh zu meinem Bruder,der um die alte Sonnenuhr wächst,
vielleicht wird er dir geben , was du wünschest."
So flog denn die Nachtigall zum Rosenstrauch,
der um die alte Sonnenuhr rankte.
"Gib mir eine rote Rose," sagte sie, "und ich will dir mein süßestes Lied singen."
Aber der Strauch schüttelte den Kopf.
"Meine Rosen sind gelb," antwortete er,
"so gelb wie das Haar der Meermädchen, die auf einem Bernsteinthron sitzen,
und gelber als die Narzissen,
die auf den Wiesen blühen, bevor der Schnitter kommt mit seiner Sense.
Aber geh zu meinem Bruder, der unter dem Fenster des Studenten steht, vielleicht wird er dir geben, was du wünschest."


So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch,
der unter dem Fenster des Studenten wuchs.
"Gib mir eine rote Rose," sagte sie,
"und ich werde dir singen mein süßestes Lied."
Aber der Strauch schütelte den Kopf.
"Meine Rosen sind rot," sagte er,
"so rot, wie die Füße der Taube und röter als die korallnen Fächer,
die die Meerflut in tiefer Höhle auf- und niederbewegt.
Aber der Winter hat meine Adern erstarrt
und der Frost hat meine Knospen geknickt
und der Sturm hat meine Zweige gebrochen
und so werde ich dieses Jahr keine Rosen mehr tragen."
"Eine rote Rose ist alles, was ich haben will," sagte die Nachtigall.
"Eine einzige rote Rose. Gibt es denn keinen Weg, sie mir zu schaffen?"

"Es gibt einen Weg," antwortete der Rosenstrauch,
"aber er ist so schrecklich, daß ich kaum wage, ihn dir zu sagen."
"Sag ihn mir nur," sagte die Nachtigall, "ich fürchte mich nicht."
"Wenn du eine rote Rose haben willst," sagte der Strauch,
"so forme sie aus Tönen im Licht des Mondes
und färbe sie mit deinem eigenen Herzblut.
Du mußt mir dein Lied singen, indes ein Dorn sich in deine Brust drückt.
Die ganze Nacht mußt du singen für mich
und der Dorn muß dein Herz durchbohren.
Und dein Lebensblut muß durch meine Adern fließen und mein werden."

"Sterben ist ein großer Preis für eine rote Rose," rief die Nachtigall, "und das Leben ist allen teuer.
Es ist so schön, im grünen Walde zu sitzen und zu sehen,
wie die Sonne im goldenen Wagen herauffährt
und wie der Mond kommt mit seiner Perlenkutsche.
Süß sind die Glockenblumen, die im Tale versteckt sind, und das Heidekraut,
das auf dem Hügel blüht.
Aber Liebe ist mehr als Leben,
und was ist das Herz eines Vogels im Vergleich
mit dem Herzen eines Menschen!"
Und so breitete sie die braunen Flügel zum Fluge aus
und erhob sich in die Luft.
Sie flog wie ein Schatten durch den Garten
und segelte wie ein Schatten durch den Hain.
Der junge Student lag noch immer im Grase, wo sie ihn verlassen hatte
und die Tränen waren in seinen schönen Augen noch nicht getrocknet.


"Werde glücklich," rief die Nachtigall, "du sollst deine rote Rose haben.
Ich will sie formen aus Tönen im Licht des Mondes und mit meinem eigenen Herzblut will ich sie färben.
Alles, was ich von dir verlange, ist, daß du ein treuer Liebhaber werdest,
denn die Liebe ist weiser als Philosophie,
so weise diese sein mag, und mächtiger als Kraft,
so mächtig diese sein mag. Flammenfarbig sind ihre Flügel
und von der Farbe der Flamme ist ihr Leib.
Ihre Lippen sind süß wie Honig und ihr Atem ist gleich Weihrauch."
Der Student blickte auf und hörte zu, aber er konnte nicht verstehen,
was die Nachtigall ihm sagte,
denn er wußte nur die Dinge, die in den Büchern geschrieben stehen.

Aber der Eichbaum verstand jedes Wort und wurde sehr traurig,
denn er liebte die kleine Nachtigall,
die ihr Nest in seinen Zweigen gebaut hatte.
"Sing mir noch ein letztes Lied," wisperte er.
"Ich werde sehr einsam sein, wenn du fort bist."
So sang denn die Nachtigall dem Eichbaum,
und ihre Stimme war dem Wasser gleich, das aus dem Felsenquell sprudelt.

Als sie ihr Lied geendet hatte, stand der Student auf
und zog ein Notizbuch und einen Bleistift aus der Tasche.
"Sie hat Technik," sagte er zu sich selbst, als er aus dem Haine schritt,
"das ist unleugbar; aber hat sie auch Gefühl?
Ich glaube kaum. Sie gleicht den meisten Künstlern: alles ist Stil,
nichts innerliches Gefühl.
Sie möchte sich für andere nicht aufopfern.
Sie denkt ausschließlich an ihre Musik und jedermann weiß,
daß die Künste egoistisch sind.
Aber man muß zugeben, daß sie einige schöne Töne in der Kehle hat.
Jammerschade, daß sie keinen tieferen Sinn haben
und praktisch nichts bedeuten!"
Und er ging in sein Zimmer und legte sich auf sein Bett
und begann über seine Liebe nachzudenken;
und nach kurzer Zeit schlief er ein.


Und als der Mond am Himmel stand, flog die Nachtigall zum Rosenstrauch
und drückte ihre Brust gegen den Dorn.
Die ganze Nacht sang sie, die Brust gegen den Dorn gepreßt,
und der kalte kristallene Mond neigte sich herab und lauschte.
Die ganze Nacht sang sie, und der Dorn drang tiefer und tiefer in ihre Brust,
und ihr Lebensblut sickerte weg von ihr.

Zuerst sang sie von dem Werden der Liebe
in dem Herzen eines Knaben und eines Mädchens.
Und an der Spitze des Rosenstrauchs erblühte eine herrliche Rose,
Blatt reite sich an Blatt wie Lied auf Lied.
Erst war sie bleich wie der Nebel, der über dem Fluß hängt,
bleich wie die Füße des Morgens und silbern wie die Flügel des Dämmers.
Wie das Schattenbild einer Rose in einem Silberspiegel,
wie das Schattenbild einer Rose im Teiche,
so war die Rose, die aufblühte an der Spitze des Rosenstocks.

Der aber rief der Nachtigall zu,
daß sie sich fester noch gegen den Dorn presse.
"Drück fester, kleine Nachtigall", rief er, "sonst bricht der Tag an,
bevor die Rose vollendet ist."

Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn,
und lauter und lauter wurde ihr Lied,
denn sie sang nun von dem Erwachen der Leidenschaft
in der Seele von Mann und Frau.

Und ein zartes Rot kam auf die Blätter der Rose,
wie das Erröten auf das Antlitz des Bräutigams,
wenn er die Lippen seiner Braut küßt.
Aber der Dorn hatte ihr Herz noch nicht getroffen,
und so blieb das Herz der Rose weiß,
denn bloß einer Nachtigall Herzblut kann das Herz einer Rose färben.
Und der Strauch rief der Nachtigall zu, daß sie sich fester noch gegen den Dorn drücke.
"Drück fester, kleine Nachtigall", rief er,
"sonst ist es Tag, bevor die Rose vollendet ist."

Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn,
und der Dorn berührte ihr Herz,
und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter,
bitter war der Schmerz, und wilder, wilder wurde das Lied,
denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod verklärt,
von der Liebe, die auch im Grabe nicht stirbt.
Und die wundervolle Rose färbte sich rot wie die Rose des östlichen Himmels.
Rot war der Gürtel ihrer Blätter, und rot wie ein Rubin war ihr Herz.

Aber die Stimme der Nachtigall wurde schwächer,
und ihre kleinen Flügel begannen zu flattern,
und ein leichter Schleier kam über ihre Augen.
Schwächer und schwächer wurde ihr Lied,
und sie fühlte etwas in der Kehle.
Dann schluchzte sie noch einmal auf in letzten Tönen.

Der weiße Mond hörte es, und er vergaß unterzugehen
und verweilte am Himmel.
Die rote Rose hörte es und zitterte ganz vor Wonne
und öffnete ihre Blätter dem kühlen Morgenwind.
Das Echo trug es in seine Purpurhöhle in den Bergen
und weckte die schlafenden Schäfer aus ihren Träumen.
Es schwebte über das Schilf am Fluß, und der trug die Botschaft dem Meere zu.

"Sieh, sieh", rief der Rosenstrauch, "nun ist die Rose fertig";
aber die Nachtigall gab keine Antwort, denn sie lag tot im hohen Gras,
mit dem Dorn im Herzen.


Um Mittag öffnete der Student sein Fenster und schaute hinaus.
"Welch ein seltsames Glück," rief er, "da ist ja eine rote Rose.
Ich habe in meinem ganzen Leben keine ähnliche Rose gesehen.
Sie ist so schön, daß sie sicher einen langen lateinischen Namen hat."
Und er lehnte sich zum Fenster hinaus und pflückte sie.
Dann setzte er sich einen Hut auf und rannte hinüber
zum Hause des Professors, mit der Rose in der Hand.

Des Professors Töchterlein saß im Torweg und
wand blaue Seide auf eine Haspel und ihr kleiner Hund lag zu ihren Füßen.
"Sie sagten mir, daß sie mit mir tanzen würden,
wenn ich Ihnen eine rote Rose brächte," sagte der Student.
"Hier ist die schönste rote Rose der ganzen Welt.
Sie werden sie heute nacht an ihrem Herzen tragen
und wenn wir zusammen tanzen,
wird sie Ihnen sagen, wie sehr ich Sie liebe."

Aber das junge Mädchen runzelte die Stirne.
"Ich glaube nicht, daß die Rose zu meiner Toilette passen wird,"
antwortete sie.
"Und überdies hat mir der Neffe des Kammerherrn
einige echte Juwelen geschickt
und jedermann weiß, daß Juwelen mehr kosten als Blumen."

"Sie sind wirklich höchst undankbar," sagte der Student ärgerlich
und er warf die Rose auf die Straße, wo sie in die Gosse fiel,
und ein Karrenrad fuhr darüber hinweg.

"Undankbar?" sagte das Mädchen. "Sie gebrauchen starke Ausdrücke,
mein Herr. Und überdies, wer sind Sie eigentlich?
Nur ein Student. Ich glaube nicht einmal, daß Sie silberne Schnallen an Ihren Schuhen haben
wie der Neffe des Kammerherrn."
Und sie stand von ihrem Stuhle auf und ging ins Haus.

"Liebe ist doch ein dummes Ding," sage der Student, als er heimging.
"Sie ist nicht halb soviel nütze als Logik,
denn sie beweist nichts und erzählt einem immer Geschichten von Dingen,
die doch nicht eintreffen, und macht einen an Dinge glauben,
die doch nicht wahr sind.
Alles in allem ist sie sehr unpraktisch
und heutzutage heißt praktisch sein alles.
ich kehre zur Philosophie zurück und werde Metaphysik studieren."

So ging er denn auf sein Zimmer und suchte ein dickes und staubiges Buch hervor und begann zu lesen.


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