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RE: Datua - Georgien

in russische und georgische Märchen 12.07.2007 11:15
von Gemini | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte

Datua



Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter und einen Sohn. Er besaß auch einen großen Garten, in dem tausenderlei Obstbäume standen.
Eines Abends schickten die Töchter eine Zofe in den Garten, damit sie Früchte hole. Die Zofe blieb lange aus. Als sie zurückkam, sagte sie nicht, weshalb sie so lange geblieben war. Es vergingen sieben Monate. Da zeigte es sich, dass die Frau schwanger war. Die Wesire meldeten es dem König, und der gab Befehl, die Zofe zu töten. Doch die Zofe sprach zu den Wesiren: »Tötet mich noch nicht, ich habe dem König ein Geheimnis zu verraten. Ist das geschehen, dann macht mit mir, was ihr wollt.«
Die Zofe ging zum König und erklärte: »Als ich im Garten Obst pflückte, sprang ein Bär vom Baum herab, überfiel mich und machte mich schwanger. Töte mich nicht, sondern warte, um zu erfahren, was für ein Kind ich bekommen werde.«
Da begnadigte der König die Frau und ließ sie gut behandeln. Zwei Monate später gebar die Frau einen Sohn. Er war so kräftig, dass er alle Kinder des Königs übertraf. Weil sein Vater ein Bär war, befahl der König, ihm den Namen Datua Datulaschwili zu geben. Der Junge wuchs so rasch heran, dass er mit einem Jahr einem Fünfjährigen glich und mit zehn Jahren einem Fünfundzwanzigjährigen. Als er zehn Jahre alt war, gab es im ganzen Königreich niemanden, der ihn an Stärke übertraf. Zu einer Mahlzeit reichten ihm zehn Schaffen Brot nicht aus, und die Wesire trauten sich nicht, ihm etwas zu sagen.

Sie gingen zum König und klagten: »Herr, alles, was wir backen, ißt er allein auf, und wir vergehen vor Hunger. Unternimm etwas gegen ihn, sonst bringt er auch dich in Not.« Da ließ der furchtsame König Datua zu sich rufen und sprach: »Du hast den Ruf eines sehr starken und gefräßigen Mannes. Wenn das wahr ist, dann zieh in die Ferne. Dort hinter neun Bergen, am Fuße des zehnten Berges, hausen Wildschweine. Unter ihnen
ist ein weißer Eber, den sollst du erlegen und die Schweine herbringen.«
Datua lud sich fünf Säcke Brot und fünf Säcke Wein auf den Rücken und brach auf. Als er zu dem Eber kam, sah er, dass dieser oben und unten zwei meterlange Hauer hatte. Da schnitt er sich zwei Stöcke zurecht, um die Schweine zusammenzutreiben. Sie wollten ihn beißen, aber Datua hieb ihnen eins mit dem Stock über, dass sie alles andere vergaßen. Er trieb die Schweine heim und brachte sie glücklich zum König. Die Wesire fürchteten sich nun noch mehr und beklagten sich wieder beim König. Und der König trug Datua auf, auch den weißen Eber zu töten, denn er hoffte, er werde Datua mit seinen Hauern aufspießen. Doch der junge Mann erfüllte auch diesen Auftrag. Schließlich sagte der König: »Wenn du mir die Tochter des Königs des Westens herbeischaffst, damit sie meine Schwiegertochter wird, will ich dir meine Tochter zur Frau geben und die Hälfte meines Reiches dazu.«
Datua brach auf. Er kam auf ein großes Feld und sah, dass Jäger einen Hasen mit Hunden hetzten. Aber den Hasen fing ein Mann, an dessen Füße Mühlsteine gebunden waren. Das verwunderte Datua, und er sagte: »Bruder, wer bist du, dass du solche Steine mit dir schleppst und doch einen Hasen fängst?« Der Mann antwortete: »Was ist das schon gegen Datulaschwili. Der soll sogar hundert wilde Schweine vom Gebirge heruntergetrieben haben.« Da sprach Datua: »Dieser Datulaschwili bin ich, lass uns Freunde werden.« Sie schlossen Freundschaft und zogen gemeinsam weiter. Nach einiger Zeit gelangten sie auf einen Acker. Dort pflügte ein Mann, und ein anderer folgte ihm, verschlang die Erdschollen und rief immerzu: »Wie es mich hungert!« Da riefen die Freunde: »Was bist du für ein Mensch, dass du solche Erdschollen verschlingst und

doch noch Hunger hast!« Der Angesprochene erwiderte: »Was ist das schon gegen Datulaschwili. Der soll sogar hundert wilde Schweine aus dem Gebirge heruntergetrieben haben!« Datua antwortete: »Das bin ich. Lass uns Freundschaft schließen und folge mir.« Da gingen sie zusammen weiter.
Sie kamen an ein Feld, auf dem ein Mann stand und in den Himmel starrte. In der Hand hielt er einen Bogen. Die Freunde wunderten sich und fragten ihn: »Was schaust du in den Himmel?« Er antwortete: »Im vergangenen Jahr habe ich einen Pfeil abgeschossen, der kommt jetzt herunter. Ich höre ihn.« Während er das sagte, bohrte sich der Pfeil in den Boden. Datua staunte und sagte: »Was bist du für ein Mensch! Im vergangenen Jahr hast du den Pfeil abgeschossen, und jetzt erst ist er heruntergekommen!« Der Mann erwiderte: »Was bin ich schon gegen Datulaschwili! Der soll hundert wilde Schweine aus dem Gebirge heruntergetrieben haben!« Da gab sich Datua zu erkennen, sie schlössen ebenfalls Freundschaft und zogen gemeinsam weiter. Nach langer Reise kamen sie an einen Fluß. Dort stand mitten in der Strömung ein Mann und trank das Wasser, so dass der Fluß unterhalb ganz trocken war. Dabei rief er immerzu: »Was ich für einen Durst habe!« Da rief ihm Datua zu: »Was bist du für ein Mensch, dass du den Fluss leergetrunken hast und noch immer Durst verspürst!« Auch mit ihm schloss Datua Freundschaft, und sie zogen gemeinsam weiter. Endlich gelangten sie zum König des Westens und baten um dessen Tochter. Der König ließ seine Tochter rufen und fragte nach ihrer Meinung. Die Tochter forderte: »Wer eine Wette gegen mich gewinnt, dessen Frau will ich werden. Wer aber verliert, dem schlage ich den Kopf ab.« Datua willigte in die Wette ein, und das Mädchen sagte: »Wir wollen beide einen Mann nach dem Wasser der Unsterblichkeit entsenden. Wessen Mann schneller zurückkehrt, der hat gewonnen.«
Sie schickten Männer aus. Datua sandte den Mann mit den Mühlsteinen nach dem Wasser. Die Königstochter aber gab ihrem Mann einen Krug mit einem Schlaftrunk mit auf den Weg und trug ihm auf: »Wenn dir unterwegs ein Mann mit einem Krug begegnet, gib ihm aus deinem Krug zu trinken, damit er einschläft. In seinem Krug ist das Wasser der Unsterblichkeit, diesen Krug sollst du mir eilends bringen.« Datuas Mann schlief unterwegs ein. Als er zu lange ausblieb, schoß der Bogenschütze einen Pfeil ab, der neben dem Schlafenden auftraf und ihn weckte. Er nahm den Krug, rannte nach dem Wasser und traf noch vor dem Boten der Königstochter ein.

Da war das Mädchen sehr betrübt. Datua fragte, weshalb sie so traurig sei, und fügte hinzu: »Wenn du willst, wetten wir noch einmal. Ich habe zwei Männer bei mir. Stille den Durst des einen mit Wein und den Hunger des anderen mit Brot!« Das Mädchen dachte: >Wie sollte ich das nicht können!< Sie rief ihre Diener und ließ alles Brot und allen Wein, den es in der Stadt gab, herbeischaffen. Doch die beiden Männer waren nicht satt zu bekommen. Der eine rief immerzu: »Wie es mich hungert!« und der andere: »Was ich für einen Durst habe!« Was blieb dem Mädchen anderes übrig, sie musste Datua folgen.
Der König machte sie zu seiner Schwiegertochter. Datua aber gab er seine eigene Tochter zur Frau und sein halbes Reich dazu.


Liebe Grüße
Bettina

Rezitante und Musäusfan-ny
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