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RE: Faust und Mefisto. Deutung von Heinrich Rombach

in Mythologie 28.12.2006 11:13
von mande (gelöscht)
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Faust und Mephisto
Versuch einer Deutung von Heinrich Rombach


Faust:
Nun gut, wer bist du denn?

MEPHISTOPHELES:
Ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will, und stets das Gute schafft.

FAUST:
Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?

MEPHISTOPHELES:
Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht: denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wärs, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.

FAUST:
Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?

MEPHISTOPHELES:
Bescheidne Wahrheit sprech ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
Gewöhnlich für ein Ganzes hält:
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht.
Und doch gelingts ihm nicht, da es, soviel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt:
Von Körpern strömts, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmts auf seinem Gange;
So, hoff ich, dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wirds zugrunde gehn.

FAUST:
Nun kenn ich deine würdgen Pflichten!
Du kannst im Großen nichts vernichten
Und fängst es nun im Kleinen an.

MEPHISTOPHELES:
Und freilich ist nicht viel damit getan.

Aus: J. W. v. Goethe, Faust I, 1808, Szene im Studierzimmer.



ANDEUTUNG EINER DEUTUNG
Mephistopheles versteht sich als der Sendbote jener „Finsternis“, die Novalis „Nacht“ nannte und deren hoher Ursprünglichkeit dieser seine Hymnen widmete. Hier, bei Goethe, erscheint der Ursprung weniger als das, aus dem alles hervorgeht, sondern eigentlich nur als das, in das alles wieder zurückgeht („zu Grunde geht“). Daß das Zu-Grunde-Gehen doch unlöslich mit dem Hervorgehen verwoben ist, gibt Mephisto mit der Wendung zu, daß er „stets das Böse will, und stets das Gute schafft“. Nur dort, wo sich der „Körper“, also die krude Sache in ihrer geistlosen Selbstsicherheit, als das wahre Seiende versteht und verfestigt, wirkt das hermetische Prinzip auflösend, zerstörend, ja „böse“. Mephistopheles oder das „Böse“ sind aber nur das zurückgeworfene Spiegelbild der in sich selbst vernarrten Sache oder Person. Nur dem in sich verfehlten Leben erscheint das hermetische Prinzip als das Böse. Gelingendes Leben ist durchweg bejahend, auch wenn es die Dinge korrigiert; mißlingendes Leben ist durchweg verneinend, auch wenn es die Dinge bestätigt. Oder: Aus der Verneinung folgt das Mißlingen, aus der Bejahung folgt das Gelingen.
Mit seinem Faust hat Goethe dem hermetischen Prinzip ein Denkmal gesetzt, das gewaltigste vielleicht, das die Literatur kennt.
Faust ist der Mann, der viele Jahre hindurch in der Tages- und Lichtwelt der Wissenschaft gelebt hat und bei allem Zuwachs an Erkenntnis immer deutlicher den Verlust des Geistprinzips bemerkte, auf das es ihm doch wesentlich ankam. Geht dieses Prinzip verloren, so geht die Lebendigkeit des Geistes verloren. Richtigkeit ist nicht das oberste Prinzip der Erkenntnis. Wird nur Richtigkeit gegeben, so verkehrt sich Wissen in Borniertheit, Klarheit in Penetranz, Erhellung in Fixierung. Aus dem Prinzip der bloßen Erkenntnis heraus ist dieser Umschlag nicht zu begreifen, ja nicht einmal zu bemerken. Man muß die Grenze zur Hermetik überschreiten, um aus ihr heraus den Unterschied zu Gesicht zu bekommen und den ungeheuren Verlust zu begreifen, der mit allen Gewinnen der Wissenschaften eingehandelt wird.
Faust in der Studierstube
Rembrand Harmensz. van Rijn, Faust in der Studierstube, Radierung, um 1653/53. – Amsterdam, Rijksprentenkabinet
Faust konnte das hermetische Prinzip vergessen, aber nicht verlieren. Darum wird ihm die Abflachung der Erkenntniswelt in der Gestalt eines unüberwindlichen Überdrusses präsent. Jedermann kennt den berühmten Monolog, in dem er die Grundwahrheit ausspricht, daß in allem Erkennen das Eigentliche nicht aufgegangen ist. „Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem Bemühen ...“ Da steht er nun, der arme Tor, und ist so klug als wie zuvor.
So beschließt Faust, in den Untergrund zu tauchen, um in der hermetischen Welt eine grundlegende Erneuerung zu erfahren. Eine Taufe also. Faust I und II sind die grundstürzende Taufe eines Apollinikers durch das hermetische Prinzip.
In die andere Welt gelangt Faust jedoch nicht auf eigene Initiative, sondern nur durch den kundigen Führer, der der Verwandlungen mächtig ist, deren es hier bedarf, Mephisto. Mephisto ist das Bild des Hermes, sofern dieser im Licht einer apollinischen Welt erscheint. Anders: Hermes kann innerhalb der Apollinik nur als eine Art Teufel erscheinen.
Mephisto ist Feuergeist und Fluggeist, ist ein zwischenweltliches Wesen, ein Zauberer und Verzauberer. Im Grunde der Genius. In Wahrheit das schöpferische Prinzip.
Das Schöpferische ist ein Aspekt des Hermetischen. Nur wer in der Welt des Hermes hinabtaucht, kann mit unerklärlichen Neuheiten in die apollinische Welt zurückkehren. Faust, der der schöpferische Mensch ist, weiß dies. Er überläßt sich dem Verführer, um den Weg zurück zu entdecken, denn nur diese Entdeckung gibt seiner Welt die unableitbare Neuheit, die Reinheit und Originalität, die der schöpferische Mensch als das Wesen des Wirklichen weiß und braucht.
Warum ist dann Mephisto ein Teufel? Das Böse bildet sich dort, wo der schöpferische Hervorgang sich in sich selbst verkehrt. Führt der Mensch die Sonderleistung, das unerklärliche Können, das ihm das hermetische Prinzip schenkte, auf seine eigene Person zurück, so vergeht er sich gegen die Wahrheit der Sache. Dieses Vergehen ist das Ur-vergehen überhaupt, „das Böse“, das die Götter mit Recht bestrafen.
Das Böse ist die Kehrseite des Schöpferischen, das auf sich selbst zurückgebogene schöpferische Tun, das nicht dem Wirklichen dankt, dem es sich verdankt. So wird die „Holle“ zur „Hölle“ und Hermes zu Mephisto, der göttliche Geist zum Teufel. Ein Umschlag, wie er krasser und gräßlicher nicht gedacht werden kann, ein Umschlag aber, der nicht erkannt wird.
Was würde aus der menschlichen Geschichte, wenn sie sich von diesem Umschlag und von der Erkenntnis dieses Irrtums her verstehen würde? Müßte sich dann nicht der Durchbruch der Wirklichkeit inmitten des Wirklichen vollziehen? Ein gewaltiges Ereignis. Ein angsterregendes Ereignis. Ein „Glück“, daß Hermes der Gott der Verborgenheit ist und als dieser selbst noch ein verborgener Gott. So bleibt die Macht der Wirklichkeit dem Menschen weiterhin entzogen, und er hat keine andere Wahl, als ihr in tausend Verwechslungen und Mißverständnissen nachzujagen, „... und ringsumher liegt fette, grüne Weide“.

Mande


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