Diesen Film möchte ich Menschen empfehlen, die sich mit dem Genre Märchen beschäftigen. Er ist KEIN Märchenfilm und kein Fantasyfilm, er ist zutiefst realistisch trotz der kindlichen Flucht in die Fantasie. Wenn ich manche Rezensionen darüber lese, bin ich erstaunt, wie sehr man diesen Film missverstehen kann. Vermutlich, weil man Erwartungen hatte, die nicht bedient wurden und nicht bereit war, sich auf das Erzählte einzulassen. Hier meine Rezension:
Der Film beginnt mit Atemgeräuschen, das Gesicht einer junge Frau? Eines Mädchen? Sie liegt auf dem Boden, Blut unter ihrer Nase, und die erste Fantasy-Sequenz beginnt. Eine Off-Stimme erzählt von einer Prinzessin, welche noch aus ihrem unterirdischen Reich verbannt, dorthin zurückkehren wird, zu ihrem Vater, dem König …
Ivana Baquero spielt überzeugend reduziert das 12 jährige Mädchen Ofelia, welches wohl schon seit dem Tod ihres Vaters mehr in Märchenbüchern als in der Realität lebt, spätestens aber seit der Partnerwahl ihrer Mutter nicht richtig “in dieser Welt zu Hause ist”.
Auch wenn dieser Film mit Fantasieelementen spielt und auf alte Mythen eingeht – er ist kein Fantasyfilm, sondern, wie der 1973 entstandene Spielfilm von Carlos Saura “Anna und die Wölfe” , eine Auseinandersetzung mit dem Franquismus und dessen tragenden Säulen: Kirche, Militär und Großbürgertum.
Die Rachsucht, mit der der Franco während und nach dem Bürgerkrieg seine einstigen republikanischen Gegner verfolgen und vernichten ließ war gewaltig, genozidartig. 143.353 noch immer Vermisste nennt die Sprecherin eines Zusammenschlusses von Hinterbliebenenverbänden.
Da der Franquismus sich nach dem Tode Francos 1975 friedlich in eine Art bürgerliche Demokratie wandelte, gab es gut dreißig Jahre lang keine Aufarbeitung der Verbrechen. Die Täter sind Teil der spanischen Gesellschaft und ihrer Eliten, straffrei dank Generalamnestie aus dem Jahr 1977.
Dieser Film symbolisiert; Hauptmann Vidal ist die fleischgewordene Verkörperung des Franco-Regimes, seine Brutalität, die viele Zuschauer zu Recht verstört, ist nicht nur die Brutalität eines Sadisten mit Männlichkeitswahn, sondern die Brutalität des Regimes. Filmisch so umgesetzt, dass sie einen wütend macht,wenn ein Kolbenschlag ins Gesicht dem nächsten folgt und nach dem dritten Schlag kein Bildwechsel kommt sondern noch ein Schlag und noch einer und noch einer, wenn ganz beiläufig ein Mensch erschossen wird oder man Beginn und Ende einer Folterung anschauen muss wurde mit wenigen Szenen über das Wirken von Militär und Guardia Civile im Franco-Regime erzählt.
Die Einstellung der offiziellen Kirche werden mit den wenigen Sätzen des Pfarrers beim Festmal zum Ausdruck gebracht, als über die Verknappung der Lebensmittel für die Bevölkerung gesprochen wurde. Sinngemäß: Sie sind getauft, sie können sterben.
Ich will den Film jetzt nicht nacherzählen, wohl aber betonen, dass seine Verknüpfung von Fantasie und Realität erstaunlich und folgerichtig ist. Immer wieder finden Doppelungen statt, ob nun ein Schlüssel oder eine gedeckte Tafel die Verbindungen der Welten dokumentieren, die mir sagen, der Macher des Filmes hat erkannt, dass viele Märchenmotive aus der Verfremdung realen Ereignissen entstanden.
Toll gemacht fand ich in diesem Zusammenhang auch den Übergang vom Geräusch der feenhaften Stabheuschrecke zur tickenden Taschenuhr des Hauptmanns.
Ein Film wie ein Requiem, großartig!