Kranich und Reiher
ein russisches Volksmärchen
Kommt ein Käuzchen geflogen, ist lustig und froh; es fliegt und fliegt und setzt sich nieder, dreht das Schwänzchen, putzt´s Gefieder, sieht nach hier und schaut nach dort, bleibt nicht lang, fliegt wieder fort; und fliegt und fliegt und setzt sich nieder, dreht das Schwänzchen, putzt´s Gefieder, blickt nach hier und schaut nach dort…
Das war nur die Einleitung, das Märchen fängt jetzt an:
In einem Moor lebten einmal ein Kranich und ein Reiher, die hatten sich jeder eine Hütte gebaut, der eine an diesem Ende des Moores, die andere an jenem.
Dem Kranich wurde das Alleinsein zu langweilig und er gedachte zu heiraten.
„Ich will gehen und um Base Reiher freien!“
Er machte sich auf den Weg – tapp, tapp -, sieben Werst durchs Moor. Kommt hin und sagt:
„Ist Base Reiher zu Hause?“
„Ja!“
„Werde meine Frau!“
„Nein Kranich, ich werde nicht deine Frau. Deine Beine sind zu lang, dein Rock ist zu kurz; du fliegst schlecht und hast nichts, mich zu füttern. Geh fort, Langbein!“
So musste der Kranich unverrichteter Dinge nach Hause gehen.
Hinterher besann sich Base Reiher eines anderen und sagte:
„Ehe ich als einsame Jungfer lebe, will ich lieber den Kranich heiraten.“
Kommt zum Kranich und sagt:
„Kranich, nimm mich zur Frau!“
„Nein, Base Reiher, ich brauche dich nicht. Ich mag nicht heiraten und nehme dich nicht zur Frau. Scher dich fort!“
Die Reiherin brach vor Scham in Tränen aus und machte sich auf den Heimweg. Der Kranich besann sich eines anderen und sagte:
„Es war dumm von mir, Base Reiher nicht zu nehmen; allein ist´s zu langweilig. Ich will jetzt gehen und sie zur Frau nehmen.“
Er kommt hin und sagt:
„Base Reiher, ich möchte dich heiraten, werde meine Frau.“
„Nein Kranich, ich werde nicht deine Frau!“
Der Kranich ging nach Hause.
Da besann sich die Reiherin eines andern:
„Warum habe ich nein gesagt? Wozu soll ich als einsame Jungfer leben? Lieber will ich den Kranich heiraten!“
Kommt zum Kranich, aber der will nicht. Und so gehen sie bis auf den heutigen Tag einer den anderen zu freien, aber zum Heiraten kommen sie nicht.