Tausendundzweite Nacht
© Manfred Schröder
Sultan Sheherban lag auf seinem, mit weichen Kissen ausgestatteten Ruhebett und dachte nach. Tausendundeine Nacht hatte er Sherezadeh verschont. Ihre Geschichten hatten ihr das Leben erhalten. Doch die letzten Märchen fand er langweilig und war auch ihrer überdrüssig. Schon seit einiger Zeit hatte er auf den neuen schwarzen Sklaven ein Auge geworfen, der Sherezadeh des Abends in sein Gemach führte.
Und seine sinnliche Begierde wurde von Tag zu Tag größer, diesen dunklen und schlanken Körper in seinen Armen zu halten.
´Nun´, dachte er. ´Noch eine Nacht. Morgen werde ich Sherezadeh töten lassen´.
Um die zehnte Abendstunde öffnete sich die Türe zu seinem Gemach und Sherezadeh begleitet von dem schwarzen Sklaven, der auf den Namen Ahmed hörte, trat ein. In seinen Händen trug er ein goldenes Tablett auf dem eine Karaffe, mit rot-schimmernden Wein gefüllt und zwei Gläser standen.
Sultan Sheherban machte eine Handbewegung und Ahmed stellte das Tablett auf einen kleinen Tisch, der neben der Ruhestätte stand. Wie aus Versehen berührte er die sanfte und dunkle Haut des Sklaven. Dieser verbeugte sich und verließ, sich rückwärts bewegend, den Raum. Sherezadeh nahm heiter lächelnd die Karaffe in die Hand und füllte die beiden Gläser.
Sie reichte eines dem Sultan und sprach:
-Der Segen Allahs sei mit bei dir!-
Sultan Sheherban war erstaunt, ob dieser Worte. Doch er nickte gnädig und führte das Glas zu seinem Mund. Noch nie glaubte er solch einen herrlichen Wein getrunken zu haben. Auch Sherezadeh hob ihr Glas.
-Nun denn-, sagte er, - erzähle deine Geschichte. - Er deutete mit seiner Hand neben sich und sie nahm an seiner Seite Platz.
Der Sultan trank zum zweiten Male und ein Schwindel bemächtigte sich seiner.
-Was ist mit mir?- sagte er.
Sherezadeh lächelte.
-Ruhe dich ein wenig aus, mein Gebieter. Du bist müde. Ein Engel wird dir die Tausenundzweite Nacht erzählen!- Sultan Sheherban blickte sie erstaunt an.
-Ein Engel?- konnte er nur noch hervorbringen. Dann fiel sein Kopf zur Seite.
Als er erwachte und die Augen öffnete, gewahrte er, dass er sich in einem großen Garten befand, der mit Palmen und Blumen bewachsen war. In der Mitte lag Teich, an dem ein Engel von unsagbarer Schönheit saß und ein großes Buch in seiner Hand hielt. Am Himmel erschienen die ersten Sterne. Er winkte ihn heran.
-Komm, setze dich zu mir. Ich will dir die Tausendundzweite Nacht erzählen.- Der Sultan blickte verwundert.
- Wo bin ich? Und die Tausendundzweite Nacht?- Der Engel sah in freundlich an.
- Du bist im Garten Allahs. Und hat es dir nicht Sheherazade gesagt, dass ein Engel dir diese Geschichte erzählen wird?- Einen Augenblick dachte der Sultan nach. Dann nickte er benommen.
Der Engel öffnete das Buch und begann zu lesen.
-Die Tausendundzweite Nacht. Sie erzählt die Liebesgeschichte von Sherezadeh und Ahmed dem schwarzen Sklaven. Als nun der Sultan gestorben war ...-