Als Märchenerzählerin komme ich dann trotz der 50 anderen "Rezen" doch nicht drumherum... Anfangs dachte ich: Wat denn, wiedermal so eine Grimm-Märchen-Adaption, nee, muss ich mir nicht antun, kenne ich alles, mach ich selber, brauch ich nicht. Doch dann sah ich das Werbevideo und mal ehrlich: Wer kann dem jungenhaften Charme des Autors wiederstehen?! Ich entschied mich doch, das irgendwannmal zu kaufen. Als ich noch eine Beigabe für den 11. Geburtstag meines Enkelsohns brauchte, kaufte ich "Die Dunkle grimmige Geschichte". Ein Monat später gab mir meine Tochter das Buch zurück. Soll ich wieder an mich nehmen, Alpträume hätte es meinem Enkel verursacht und beim Lesen hätte er aufgeschieen, war aber nicht gewillt es wegzulegen. Nun wurde meine Neugier endgültig geweckt. Meinen Enkeln kann es eigentlich nicht dunkelgrimmig genug sein - so groß ist ihr Vertrauen auf guten Ausgang der Märchen. Was war es also, was ihn - der die Grimmis (so nennen wir Märchenerzähler untereinander die Grimm - Märchen) fast alle kennt, so mitgenommen hat? Zwei Gründe habe ich gefunden, zu Einem die Steigerung der Spannung durch die Erzählereinschübe, zum Anderen die "Personalisierung" von Hänsel und Gretel, die nun zu echten Protagonisten geworden, eine Reihe von Grimm-Märchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden durchleben. Denn was Adam Gidwitz durch die Zusammenstellung der Märchen hier machte, ist bei manchen Psychologen tägliche Praxis,im Märchen ein Symbol für eine Lebenssituation finden.Doch dabei bezieht man sich auf ein Märchen. Das hilft bei der Selbstfindung und der Therapie eines Problems. Denn fast jedes Kind erfährt auf dem Weg zum Erwachsenwerden , dass der geliebte Vater auch ganz unliebenswerte Züge haben kann , sich vielleicht der Zukunftsplanung wie ein Drache in den Weg stellt und dass die Mutter eine richtige Hexe sein kann, das hat wohl auch jeder mal empfunden. Manchmal haben Eltern auch Verpflichtungen zu erfüllen, was dann zu Lasten der Kinder geht, ihnen aber nicht schadet, wenn sie die Notwendigkeit einsehen können (in so eine Richtung deuten wir den treuen Johannes heute aus) Hier wurden nun verschiedene Lebensstationen der Kindheit in symbolische Erfahrungen umgesetzt,die die kindliche Psyche auf dem Weg zum Erwachsenwerden machen kann. Kinder nehmen die Märchen auf einer Realitätsebene wahr, symbolisch wird es erst im Erwachsenenalter. Vor dem, was wir als grausam am Märchen empfinden, schützt sie normalerweise ihre Fantasie, die das Grausame nur in der Form in das Bewusstsein lässt, wie es für sie zu verkraften ist. Doch wenn dann ständig hingewiesen wird, dass es jetzt aber ganz, ganz schlimm kommt, wird dieser Schutz unterwandert.Ich würde das Lesealter deshalb erst ab 12 Jahre ansetzen.
Mir hat an dem Buch gefallen, dass diese psychologische Deutung so zum Ansatz kam und dass so lebendig erzählt wurde, ohne die Märchenstruktur der Grimms zu brechen. Und ich habe durch die Erzählereinschübe noch etwas über Spannungssteigerung gelernt, will ich nicht unbedingt so nachmachen, hat mir aber was gegeben. Mein Lesevergnügen ließ gegen Ende des Buches nach und lief sich lahm, weil es gegen Ende dann in der Art und Weise, mit den Grimm-Texten umzugehen, bzw. a'la Grimm neu zu erzählen für mich "manierlich" wurde, ein, zwei Märchen weniger wäre insgesamt mehr gewesen - jedenfalls für mich.
Das Buch ist auf schön dickem Papier gedruckt, hat ein angenehmes Schriftbild und scherenschnittartige Illustrationen, insgesamt eine angenehme Optik und Haptik, wie der Einband schon verspricht. Es gibt das auch als E-Buch und dieses Buch ist mit der Art der Illustrationen gut geeignet dafür.