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RE: skandinavische Märchen
in sonstige europäische Märchen 31.12.2007 17:11von Gemini • | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte
Stiefelchen
ein Märchen aus Schweden
Es war einmal eine wunderschöne Prinzessin. Sie hatte nur einen Fehler. Sie log immerzu. Ihr Vater, der König, war schon ganz verzweifelt. So beschlossen er und die Königin der Prinzessin auch Lügen aufzutischen. "Sie wird uns nicht glauben, sich ärgern und rufen: Das ist nicht wahr. Und dann wird sie geheilt sein." Also erzählten die Königin und der König und alle Leute im Schloß die tollsten Lügengeschichten. Aber nie sagte die Prinzessin: "Das ist nicht wahr!" Der König ließ deshalb im ganzen Land verkünden, daß die jungen Männer aufs Schloß kommen und Lügengeschichten erzählen sollen und wer seine Tochter dazu brächte, daß sie sagt: "Das ist nicht wahr", der sollte sie zur Frau haben.
Die jungen Männer kamen von überall her und gaben sich redlich Mühe, der Prinzessin die gewünschten Worte zu entlocken. Aber keiner schaffte es.
Im Reich lebte auch ein hübscher Schustersohn, den alle nur Stiefelchen nannten. Dieser kam nun eines Tages zum Schloß und wurde zur Prinzessin geführt.
"Einen schönen Tag", grüßte die Prinzessin, "obwohl ich nicht sagen kann, daß der Tag schön angefangen hat. Es waren schon drei Männer hier und alle haben mir langweilige Geschichten erzählt. Wenn das so weitergeht, mache ich Urlaub auf dem Mond. Mein Vater hat dort ein Haus gebaut, das ist so groß, daß ich eine Woche brauche, wenn ich durch alle Zimmer gehen will."
"Das Haus, das mein Vater auf der Sonne gebaut hat, ist noch viel größer. Bis ich durch alle Zimmer gegangen bin, brauche ich ein ganzes Jahr", entgegnete Stiefelchen.
"Schön und gut", meinte die Prinzessin, "einen so riesigen Ochsen wie mein Vater hat deiner bestimmt nicht. Unser Ochse hat einen so großen Kopf, daß zwischen seinen Hörnern ein Heuwagen Platz hat."
"Das ist noch gar nichts gegen den Ochsen meines Vaters. Zwischen seine Hörner kann man eine ganze Scheune stellen."
"Ja, ja", sagte die Prinzessin, "aber was sagst du zu dem Apfelbaum, den ich im Garten meines Vaters gepflanzt habe? Er trägt Äpfel so groß wie Wagenräder."
"Das ist noch gar nichts gegen den Apfelbaum, den ich gestern früh im Garten meines Vaters pflanzte. Am Abend war er schon so hoch wie der Kirchturm. Ich wollte die Äpfel pflücken und kletterte hinauf. Der Baum wuchs weiter und weiter, bis an die Wolken und noch viel höher. Da kam der Wind und trug mich fort, dreimal um die Erde. Dann ließ er mich fallen, ich fiel und fiel und landete in einem Fuchsloch und dort hast du Prinzessin gesessen und meine Stiefel geflickt!"
"Das ist nicht wahr!", rief die Prinzessin. So bekam Stiefelchen sie zur Braut und das halbe Königreich dazu. Zum Lügen hatte die Prinzessin jetzt nicht mehr so viel Zeit. Nur einmal in der Woche dachten sich Stiefelchen und seine Frau die allertollsten Lügengeschichten aus.
Liebe Grüße
Bettina
Rezitante und Musäusfan-ny
RE: skandinavische Märchen
in sonstige europäische Märchen 02.01.2008 12:09von Gemini • | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte
Tritil Laeralitil
ein isländisches Märchen
Da waren einmal ein Mann und eine Frau in ihrer Hütte. Die hatten einen Sohn, der hieß Tritil Laeralitil. Und da waren auch ein König und eine Königin in ihrem Schloss, die hatten eine Tochter namens Ingibjörg. Tritil pflegte immer in das Königsschloss zu kommen, so dass der König ungehalten über ihn wurde. Einmal sagte der König:
"Ich werde dich in drei Jahren töten, wenn du mir nicht sagen kannst, was ich jetzt gerade denke."
Der Junge geht heim in die Hütte und erzählt seinen Eltern davon. Sie sagen, sie hätten schon immer geahnt, dass aus diesem Herumtreiben im Schloss nichts Gutes für ihn herauskommen werde. Er sagt:
"Gebt mir Wegzehrung und neue Schuhe."
Denn er hatte von einem Troll im Berge Nipufjall erzählen hören, der Kol hieß und viel wusste. Tritil wollte zu ihm gehen und ihn aufsuchen. Die Eltern taten es nicht gern, ließen ihn aber doch ziehen.
So bricht er also auf und geht gut und lange bis zum Abend. Da kommt er zu einer kleinen Hütte. Hier wohnen zwei Brüder. Er bittet um Nachtlager und bekommt es. Er bleibt hier über Nacht, und die Brüder fragen ihn, wohin er unterwegs ist. Er sagt:
"Ich möchte Kol im Nipufjall aufsuchen."
Sie raten ihm ab, dorthin zu gehen, denn das sei ein arger Troll. Er sagt:
"Ich gehe trotzdem hin."
Da bitten sie ihn:
"Bestell ihm Grüße und frage ihn, wer uns immer unsere Schafe stiehlt."
Der Junge verspricht es. Dann geht er weiter. Er geht gut und lange, bis es Abend wird. Da kommt er zu einem Bauernhof, dort wohnt eine Frau. Sie fragt ihn auch, wohin er will. Er sagt hier das gleiche wie auf dem anderen Hof. Die Frau rät ihm ab, zu dem Riesen zu gehen, denn alle seien ums Leben gekommen, die dorthin gegangen sind. Er sagt, er werde es trotzdem tun. Da bittet ihn die Frau, den Riesen zu grüßen und zu fragen, wo die achtzehn Schlüssel an einem Ring geblieben sind, die sie vor drei Jahren verloren hat.
Das verspricht er. Dann macht er sich wieder auf den Weg und kommt spät am Abend zu einem dritten Bauernhof und da steht eine Frau draußen. Er bittet sie, hier über Nacht bleiben zu dürfen und sie erlaubt es ihm. Sie fragt ihn, wohin er denn unterwegs sei. Er sagt das gleiche wie auf den anderen Höfen. Sie rät ihm davon ab, denn das sei der ärgste Troll, bei dem komme keiner mit dem Leben davon. Er sagt, er werde trotzdem bestimmt dorthin gehen. Da bittet sie ihn, ihm ihre Grüße zu bestellen.
"Und frage ihn, wer meine Männer erschlagen hat. Dreimal habe ich schon geheiratet und jedesmal ist der Mann in der ersten Nacht, in der wir zusammen schliefen, verschwunden. Und niemand hat mehr etwas von ihm gehört."
Der Junge verspricht es ihr und macht sich auf den Weg. Sie gibt ihm noch eine große Axt und sagt, er werde sie brauchen; sie habe gehört, dass der Riese hoch oben auf einem Berg wohne, und er werde sich Stufen schlagen müssen, damit er bis zu der Höhle hinaufkommt.
Als er nun lange Zeit gegangen ist, kommt er zu einem sehr hohen Berg und sieht aus dem Berg eine hohe Felsspitze hervorragen und darunter sieht er die Tür zu der Höhle. So haut er sich nun Stufen, bis er zur Höhlentür kommt. Da geht er hinein und sieht drinnen ein ungeheuer großes Bett. Er kriecht darunter, und als es Abend wird, hört er so laute Schritte, dass die Höhle davon erbebt. Da kommt ein großer Trollkerl mit einem Bund gefangener Vögel herein. Er wirft sie auf den Boden und sagt:
"Nach Menschen riecht's in meiner Höhle", und er sagt, "wenn jemand hier ist, so soll er ans Licht kommen, sonst werde ich ihn gleich erschlagen."
Da kommt Tritil unter der Lagerstatt hervor und sagt, er sei ja gekommen, damit er sich von dem Riesen umbringen lasse. Da zieht Kol den Jungen zur Tür hinaus und Tritil sagt:
"Bevor du mich ums Leben bringst, muss ich dir einiges bestellen, darum wurde ich gebeten. Zwei Brüder haben mich gebeten dich zu grüßen, und sie möchten wissen, wer ihnen die Schafe gestohlen hat; und eine Frau hat mich gebeten dich zu grüßen, und sie möchte wissen, wo die achtzehn Schlüssel an einem Ring hingekommen sind, die sie vor drei Jahren verloren hat. Und eine andere Frau hat mich gebeten dich zu grüßen und sie möchte wissen, wer ihre Männer umgebracht hat; sie sind immer in der ersten Nacht verschwunden, in der sie bei ihr geschlafen haben. Jetzt", sagt Tritil, "kannst du mich umbringen, jetzt habe ich alle meine Aufträge ausgerichtet."
Der Riese sagt, das werde er am Morgen tun, und er lässt den Jungen los. Nun gehen sie beide in die Höhle und Kol macht sich an die Arbeit und kocht sich Vögel und er langt dann tüchtig zu. Dann fragt der Riese den Jungen, ob er lieber neben ihm oder auf dem Fußboden schlafen will. Tritil sagt, er möchte neben ihm schlafen. So vergeht die Nacht. Am Morgen ergreift der Troll den Jungen und zerrt ihn zur Tür hinaus und sagt:
"Du hast doch noch ein Anliegen an mich gehabt."
Tritil sagt, er habe zwar ein Anliegen an ihn gehabt, aber es käme ihm nicht darauf an, jetzt, wo er umgebracht werden soll. Und als sie hinaus kommen, sieht er dort einen Eimer und ein Messer. Nun legt Kol den Jungen neben den Eimer auf den Boden. Da sagt Tritil, er solle es nicht hinausziehen, er solle ihm nur den Kopf abschneiden. Da hält Kol inne und sagt:
"Das ist das erste Mal, dass mich einer hier aufsucht und sich nicht vor seinem Tode fürchtet."
Und deshalb hält er nichts mehr davon, ihn umzubringen.
So gehen sie also in die Höhle, und jetzt berichtet ihm Tritil, was er für ein Anliegen hat. Er sagt, er sei oft in des Königs Schloss gegangen und sei auch oft zum König gekommen und da sei der ungehalten gewesen und habe ihm gesagt, er werde ihn nach drei Jahren töten, wenn er ihm nicht sagen könnte, was er jetzt gerade denke. Da sagt Kol, der König habe sich gedacht, ob der Junge nicht einmal sein Schwiegersohn würde, dieser armselige Wicht. Kol sagt, er solle den König töten, wenn er es abstreiten wollte. Weiter sagt er:
"Und es ist ein Riesenweib in einer Schlucht beim Hofe, die die Männer der einen Frau umgebracht hat. Die Frau, die ihre Schlüssel verloren hat - die sind in einer Höhlung in der nördlichen Ecke von ihrem Heuzaun; die Brüder aber stehlen sich die Schafe gegenseitig."
Dann gibt Kol dem Tritil ein Horn; darin ist ein kräftiger Trank, den solle er trinken, wenn er es am nötigsten habe. Kol gibt Tritil auch einen Speer und sagt ihm, damit solle er den König durchbohren, wenn er die Wahrheit abstreitet. Endlich bittet Kol, Tritil solle ihn einladen, wenn er die Königstochter heiratet. Das verspricht er ihm. Kol begleitet ihn noch ein Stück des Weges, und dann trennen sie sich.
Dann kommt Tritil zu der Frau, die immer ihre Männer verlor. Sie fragt ihn, wie es ihm bei seiner Fahrt ergangen ist. Er sagt ihr, Kol habe ihm erzählt, in der Schlucht bei dem Hofe sei ein Trollweib. Da wird sie noch betrübter und sagt:
"Nun wollte ich mich gerade zum vierten Mal verheiraten."
Sie bittet Tritil, bis nach dem Hochzeitsfest hierzubleiben. Nun wird also alles für das Fest vorbereitet und vielerlei Volk wird dazu eingeladen. Als das Fest zu Ende ist, geht ein jeder zu seiner Wohnstatt. Tritil bleibt die Nacht über hier, als man aber am Abend schlafen geht, bittet Tritil das Brautpaar, ihm eine Ochsenhaut zu leihen, wenn sie eine hätten. Sie sagen, in der Küche unterm Dach hätten sie sechzehn davon und er könnte sich nehmen, welche er will. Er zieht sie in der Küche herunter und schaut sie sich an und nimmt die dickste und beste. Sie bieten ihm an, in einem Bett in dem gleichen Hause zu schlafen, in dem sie liegen, aber das will er nicht. Als sich das Brautpaar niederlegt, da legt er sich an den Rand vorn in dem Bett der Eheleute und hat die Ochsenhaut über sich gezogen. Die Brautleute sind ganz außer sich, als sie das sehen, und denken, er hätte seine Sinne nicht beieinander. Nun schlafen alle ein, Tritil aber schläft nicht. Als es gegen Mitternacht geht, erwachen die Leute von einem Getöse wie von gewaltigen Schritten. Da poltert ein Trollweib herein und was ihr im Wege ist, geht alles in Stücke. Tritil trinkt in aller Eile aus dem Horn. Als sie in das Haus hereinkommt, will sie den Mann ergreifen, der vor der Frau liegt. Aber das kommt anders, als sie denkt. Sie packt die Ochsenhaut, die er über sich gezogen hatte, aber er lässt nicht los. So zerren sie nun beide an der Ochsenhaut und alles was ihnen in den Weg kommt, geht dabei in Stücke. Er sieht, dass es hoffnungslos ist, mit dem Trollweib fertigzuwerden. Sie ziehen die Haut zwischen sich hin und her. Auf diese Weise kommen sie aus dem Haus heraus. Da aber ist Kol zur Stelle und nimmt sie in Empfang. Auf dem Hofplatz sehen sie einen Eimer mit einem Messer darin. Sie sagen, sie solle nun den gleichen Tod haben, wie sie ihn dem Mann aus dem Haus bestimmt hatte. Da will das Trollweib noch einmal auf sie losgehen. Sie überwinden sie aber, werfen sie zu Boden und schneiden ihr den Hals ab und legen ihr den Kopf zum Hintern, holen dann Holz und Feuer und verbrennen sie auf einem lodernden Scheiterhaufen. Dann trennen sie sich wieder. Tritil geht wieder ins Haus. So vergeht die Nacht. Am Morgen will er sich auf den Weg machen; da geben ihm die Eheleute viel Geld. Tritil sagt der Frau, nun würden keine Männer mehr von hier verschwinden. Da danken ihm die Eheleute für alles, was er da getan hat.
Er verabschiedet sich von ihnen und macht sich auf den Weg und kommt zu der anderen Witwe und erzählt ihr, dass die Schlüssel in der nördlichen Ecke ihres Heuzaunes sind. Sie will ihm dafür etwas zum Lohn geben, aber er nimmt nichts an, weil sie selber arm ist.
Dann geht er weiter zu den beiden Brüdern. Die fragen ihn, was Kol gesagt hat. Er sagt, er habe ihm erzählt, dass einer den anderen bestiehlt. Da werden sie so zornig, dass sie aufeinander losgehen und sich gegenseitig erschlagen.
Nun nimmt Tritil das aus der Hütte, was von Wert ist, geht dann zum Königsschloss und geht vor den König und sagt:
"Nun bin ich gekommen, um dir zu sagen, was du damals dachtest. Das war, ob ich, dieser armselige Wicht, nicht einmal dein Schwiegersohn würde."
Der König streitet das ab. Da nimmt Tritil den Speer und setzt ihn dem König an die Brust und sagt, er werde ihn durchbohren, wenn er das weiter abstreite. Da sagt der König, dass es die Wahrheit ist. Dann nimmt er Tritil auf in sein Schloss und lässt ihm Unterricht geben. Als Tritil genug gelernt hat, sagt der König, nun werde er ihn mit seiner Tochter verheiraten, und er solle die Gäste einladen. Tritil sagt, der König solle bestimmen, wer eingeladen werden soll; er möchte für sich nur einen einladen. Das wird ihm gestattet.
Nun kommen also die Gäste und werden zu ihren Sitzen geleitet, aber unter den Gästen ist ein ungeheuer großer Troll. Tritil sagt.
"Ich bestehe darauf, dass er an meiner Seite sitzt."
Alle Gäste grausen sich vor ihm. Tritil befiehlt, dass man diesem Gast viel auftischt. So wird also das Fest gefeiert und dann steht man von den Tischen auf und Kol bittet den Tritil, mit ihm herauszukommen. Sie gehen hinaus und da gibt Kol ihm eine große Menge Geld. Kol sagt:
"Ich habe eine Bitte an dich, nämlich dass du mir erlaubst, in dieser Nacht bei deiner Frau zu schlafen."
Tritil sagt, das solle er bei seiner Frau vorbringen. Und da bringt Kol es bei seiner Frau vor. Sie schlägt ihm das rundweg ab und sagt, sie habe Angst vor ihm. Tritil sagt nun Kol, dass sie es nicht zulasse. Nun versuchen sie es beide. Da sagt sie, sie würde es tun, wenn er sich immer von ihr abwendet und wenn ihr Mann mit einem Licht über ihr Wache hält. So gehen sie zur Ruhe und sie wendet sich von Kol ab. Dann schlafen sie beide ein und da fällt die schreckliche, abscheuliche Trollhaut von ihm ab. Tritil nimmt sie und verbrennt sie. Als Kol erwacht, begießt er ihn und da ist es ein wunderschöner Königssohn. Kol sagt, er werde ihr eine Morgengabe geben, nachdem er nun aus dem Zauber erlöst sei. Das Trollweib in der Schlucht beim Hof habe ihm auferlegt, dass er erst dann aus der Verzauberung erlöst werden solle, wenn er bei einer Königstochter schlafen dürfte und das werde nicht so bald geschehen.
Und dann holen sie alles aus der Höhle und fahren damit heim ins Schloss. Und Kol verheiratete sich dann auch in diesem Reich. Und so endet diese Geschichte.
Liebe Grüße
Bettina
Rezitante und Musäusfan-ny
RE: skandinavische Märchen
in sonstige europäische Märchen 02.01.2008 12:18von Gemini • | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte
Der Kamerad
ein Märchen aus Norwegen
Es war einmal ein Bauernbursche, dem träumte, er werde eine Prinzessin bekommen, weit, weit fort, und sie wäre so weiß wie Milch und so rot wie Blut und so reich, dass ihr Reichtum kein Ende hätte.
Beim Aufwachen vermeinte er noch, sie stünde leibhaftig vor ihm, und sie war so schön und lieblich, dass er nicht weiterleben konnte ohne sie.
Da verkaufte er alles, was er hatte, und zog aus und suchte sie. Er wanderte weit umher und kam schließlich zur Winterszeit in ein Land, wo alle Straßen geradeaus gingen und keinerlei Biegung machten.
Als er ein viertel Jahr lang geradeaus gewandert war, kam er in eine Stadt. Da lag außen vor der Kirchentür ein großer Eisklumpen, und mitten darin war eine Leiche, und die ganze Gemeinde spuckte im Vorbeigehen darauf. Der Bursche verwunderte sich darüber, und als der Pfarrer aus der Kirche kam, fragte er ihn, was das bedeuten solle. “Das ist ein arger Missetäter gewesen”, sagte der Pfarrer, "man hat ihn um seiner Sünden willen hingerichtet und hier zu Spott und Schande aufgestellt.
” Was hat er denn getan?” fragte der Bursche. In diesem irdischen Leben war er ein Weinhändler”, sagte der Pfarrer, und er hat Wasser in den Wein geschüttet.”
So erschreckend kam das dem Burschen nicht vor.
“Wenn man ihn doch mit dem Leben hat dafür bezahlen lassen”, sagte er, “könnte man ihm jetzt doch ein christliches Begräbnis verschaffen und den Toten ruhen lassen!”
Aber darauf sagte der Pfarrer, das sei auf keine Weise zu machen, denn um ihn aus dem Eis herauszubrechen, brauche man Leute; und man brauche Geld, um von der Kirche das Grab zu kaufen, und der Totengräber wolle Geld für seine Mühe, der Küster für die Glocken, der Kantor für den Gesang und der Pfarrer für die Leichenpredigt.
“Glaubst du, dass es einen Menschen gibt, der all das viele Geld für einen solchen argen Sünder zahlen will?” fragte der Pfarrer.
“Ja”, sagte der Bursche, wenn er ihm nur ein Begräbnis verschaffen könne, so wolle er schon den Leichenschmaus zahlen aus seinem schmalen Beutel.
Der Pfarrer wollte erst nichts davon wissen, aber als der Bursche mit zwei Männern wiederkam und ihn vor ihren Ohren fragte, ob er das christliche Begräbnis verweigere, wagte er keinen Widerspruch mehr.
Also befreiten sie den Weinhändler aus dem Eisklotz und legten ihn in geweihte Erde. Die Glocken läuteten, und es wurde gesungen, und der Pfarrer warf Erde auf den Sarg, und sie hielten einen Leichenschmaus, und es gab abwechselnd Tränen und Gelächter.
Als aber der Bursche den Leichenschmaus bezahlt hatte, hatte er nicht mehr viel Groschen in der Tasche.
Darauf machte er sich wieder auf den Weg; aber er war noch nicht weit gegangen, als ein Mann hinter ihm herkam und ihn fragte, ob er es nicht langweilig finde, so allein vor sich hinzugehen?
“Nein,” sagte der Bursche, er habe immer etwas, woran er denken müsse. Der Mann fragte, ob er nicht einen Diener brauchen könne.
“Nein”, sagte der Bursche”, “ich bin gewöhnt, mein eigener Diener zu sein, deshalb brauche ich keinen, und wenn ich auch noch so gern einen haben wollte, so könnte ich doch nicht, denn ich habe kein Geld für Kost und Lohn.”
“Du hast aber doch einen Diener nötig, das weiß ich besser als du,” sagte der Mann, “und zwar brauchst du einen, auf den du dich im Leben und Tod verlassen kannst. Wenn du mich aber nicht als Diener haben willst, so nimm mich als Kameraden; ich verspreche dir, es soll dein Schade nicht sein, und ich werde dich keinen Schilling kosten. Ich reise auf eigene Kosten, und um Essen und Kleider brauchst du dich auch nicht zu bemühen.”
Unter diesen Umständen wollte er ihn gern als Kameraden annehmen, und so setzten sie die Reise zusammen fort, und der Mann ging gewöhnlich voraus und zeigte den Weg.
Als sie lang durch die Lande gezogen waren, über Berge und Heiden, standen sie plötzlich vor einer Felswand.
Der Kamerad klopfte an und bat um Einlass. Da tat sich der Fels vor ihnen auf, und als sie ein gut Stück in den Berg hineingegangen waren, kam ihnen eine Hexe entgegen und bot ihnen einen Stuhl an:
“Seid so gut und setzt euch, ihr werdet müd sein!” sagte sie.
“Setz dich selbst!” sagte der Mann. Da musste sie sich setzen und da sitzen bleiben, denn der Stuhl hatte die Eigenschaft, dass er alles festhielt, was ihm nahe kam. Inzwischen wanderten sie im Berg herum, und der Kamerad sah sich um, bis er ein Schwert erblickte, das über der Tür hing, das wollte er haben und versprach der Hexe, er wolle sie von dem Stuhl befreien, wenn sie ihm das Schwert überlasse.
“Nein”, schrie sie, “bitte mich, um was du willst! Alles andere kannst du haben, nur das nicht, denn das ist mein Drei-Schwestern-Schwert!” (Es waren nämlich drei Schwestern, denen das Schwert zusammen gehörte.)
“Dann kannst du hier sitzen bleiben bis an der Welt Ende!” sagte der Mann.
Als sie das hörte, versprach sie ihm doch das Schwert, wenn er sie befreien wolle.Er nahm das Schwert und ging damit davon und ließ sie doch sitzen.
Als sie weit gewandert waren, über nackte Felsen und öde Heiden, kamen sie wieder an eine Felswand.
Da pochte der Kamerad wieder und bat um Einlass. Es ging wie das letzte mal, der Fels tat sich auf, und als sie tief drinnen im Berg waren, kam ihnen eine Hexe mit einem Stuhl entgegen und hieß sie niedersitzen, sie seien wohl müde,” sagte sie.
“Setz dich selbst!” sagte der Kamerad. Und es ging ihr wie ihrer Schwester, sie musste sich setzen und konnte nicht mehr loskommen.
Indessen gingen der Bursche und sein Kamerad im Berge umher, und er machte alle Schränke und Schubladen auf, bis er fand, was er suchte, nämlich ein Knäuel Goldfaden. Das wollte er haben und versprach der Hexe, sie von dem Stuhl los zu lassen, wenn sie ihm das Knäuel geben wolle. Sie sagte, er könne all ihr Hab und Gut nehmen, aber das Knäuel könne sie nicht hergeben, das sei ihr Drei- Schwestern-Knäuel.
Aber als sie hörte, dass sie bis zum Jüngsten Tag hier sitzen bleiben sollte, wenn sie das Knäuel nicht hergebe, so ging sie doch darauf ein.
Da nahm der Kamerad das Knäuel und ließ sie trotzdem sitzen, wo sie saß.
Darauf gingen sie manchen Tag durch Wald und Heide, bis sie wieder an eine Felswand kamen. Es ging gerade wie die beiden vorigen Male, der Kamerad klopfte an, der Berg tat sich auf, und drinnen kam ihnen eine Hexe mit einem Stuhl entgegen und hieß sie sitzen, sie seien wohl müde.
Aber der Kamerad befahl: “Setz dich selber!” und da musste sie sich setzen. Die beiden waren noch nicht durch viele Gemächer gegangen, da erblickte der Kamerad einen alten Hut an einem Haken hinter der Tür. Den wollte er haben; aber die Alte wollte sich nicht davon trennen, denn es sei ihr Drei-Schwestern-Hut, wenn sie den hergebe, werde sie ganz unglücklich.
Als sie jedoch hörte, dass sie hier bis an den Jüngsten Tag sitzen bleiben sollte, wenn sie den Hut nicht hergebe, so willigte sie endlich ein.
Der Kamerad nahm den Hut und hieß sie dann ebenfalls sitzen bleiben, wo sie saß.
Schließlich kamen sie an einen Fluss. Da nahm der Kamerad das Knäuel und warf es so kräftig an den Berg auf der anderen Seite des Flusses, dass es wieder zurück flog, und als es mehrmals hin und wider geflogen war, stand eine Brücke da. Darauf überschritten sie den Fluss, und als sie auf der anderen Seite ankamen, sagte der Mann zu dem Burschen, er solle so rasch wie möglich den Goldfaden wieder aufwickeln, “denn wenn wir ihn nicht schnell wegschaffen, so kommen die drei Hexen herüber und reißen uns in Stücke.”
Der Bursche wickelte, so rasch er konnte, und wie er gerade am letzten Faden war, kamen die Hexen angefaucht; sie stürzten sich ins Wasser, dass der Schaum hoch aufspritzte, und haschten nach dem Ende des Fadens. Aber sie konnten es nicht passen und ertranken in dem Fluss.
Als sie wieder einige Tage gegangen waren, sagte der Kamerad:
“Nun kommen wir bald an das Schloss, in dem sie wohnt, die Prinzessin, von der du geträumt hast, und wenn wir hinkommen, so musst du ins Schloss hineingehen und dem König sagen, was du geträumt hast und was dein Reiseziel ist.”
Als sie hin kamen, tat er das und wurde sehr gut aufgenommen; er bekam ein Zimmer für sich und eins für seinen Diener, und als es Essenszeit war, wurde er an des Königs eigenen Tisch entboten.
Als er die Prinzessin erblickte, erkannte er sie sogleich wieder nach dem Traumgesicht. Er sagte ihr auch, weshalb er gekommen sei, und sie antwortete, sie könne ihn gut leiden und wolle ihn gern nehmen, aber zuerst müsse er drei Proben bestehen.
Als sie gespeist hatten, gab sie ihm eine goldene Schere und sagte:
,Die erste Probe ist, dass du diese Schere nimmst und aufhebst und sie mir morgen mittag wiedergibst. Das ist keine sehr schwere Probe,” sagte sie und lächelte, aber wenn du sie nicht bestehst, so musst du sterben, so will es das Gesetz, und dein Körper wird aufs Rad geflochten und dein Kopf auf einen Spieß gesteckt, und es geht dir wie den Freiern, deren Schädel und Gerippe du draußen vor dem Schloss sehen kannst.”
“Das ist doch keine Kunst,” dachte sich der Bursche.
Aber die Prinzessin war so lustig und munter und trieb solche Possen mit ihm, dass er die Schere und sich selbst darüber vergaß, und während sie lachten und schäkerten, stibitzte sie ihm heimlich die Schere weg, ohne dass er es merkte.
Als er am Abend in die Kammer kam und erzählte, wie es ihm gegangen war und was sie zu ihm gesagt hätte, und von der Schere, die sie ihm zum Aufheben gegeben hätte, fragte der Kamerad:
“Hast du die Schere auch noch?”
Der Bursche suchte in allen seinen Taschen, aber es war keine Schere darin, und er war mehr als unglücklich, als er merkte, dass er sie verloren hatte.
“Nun, nun, sei nur ruhig, ich will sehen, ob ich sie dir wieder verschaffen kann,” sagte der Kamerad und ging hinunter in den Stall.
Da stand ein mächtiger Bock, der gehörte der Prinzessin und konnte viel schneller durch die Luft fliegen als auf ebener Erde gehen. Der Kamerad nahm das Drei-Schwestern-Schwert und gab ihm damit einen Hieb zwischen die Hörner und fragte: “Wann reitet die Prinzessin heut Nacht zu ihrem Liebsten?” Der Bock meckerte und sagte, das traue er sich nicht zu sagen, aber als der Kamerad ihm noch einen Hieb gab, sagte er doch, die Prinzessin werde Punkt elf Uhr kommen.
Der Kamerad setzte den Drei-Schwestern-Hut auf, da war er unsichtbar, und wartete auf die Prinzessin. Als sie kam, schmierte sie den Bock mit einer Salbe ein; die sie in einem großen Horn mitbrachte, und dann rief sie:
“Auf! Auf! Über Giebel und Turm, über Land, über See, über Berg und Tal, zum Liebsten, der mich im Berg erwartet!”
Wie der Bock aufflog, schwang sich der Kamerad hinten auf, und nun ging es wie der Wind durch die Wolken; der Weg war nicht lang. Auf einmal waren sie vor einer Felswand, sie klopfte an, und dann ging die Fahrt in den Berg hinein zu dem Troll, der ihr Liebster war.
“Jetzt ist ein neuer Freier gekommen, der mich haben will, Schätzchen,” sagte sie, “er ist jung und hübsch; aber ich will keinen haben als dich,” sagte sie und tat dem Troll schön.
“Ich habe ihm eine Probe auferlegt, und hier ist die Schere, die er aufheben und verwahren sollte; verwahre du sie jetzt!”
Da lachten die beiden, als wäre der Bursche schon aufs Rad geflochten.
“Ja, ich will sie aufheben und gut verwahren, und ich will schlafen in Liebchens Arm, wenn den Burschen umkrächst der Krähenschwarm!” sagte der Troll und legte die Schere in einen eisernen Schrein mit drei Schlössern davor.
Aber in dem Augenblick, wo sie die Schere in den Schrein fallen ließen, nahm der Kamerad sie weg. Keiner konnte es sehen, denn er hatte den Drei-Schwestern-Hut auf ; also schloss der Troll den leeren Schrein sorgfältig zu, und die Schlüssel steckte er in einen hohlen Backenzahn, wo er noch andere Zauberdinge aufhob. Da würde ihn der Freier gewiss nicht finden, meinte er.
Nach Mitternacht machte sie sich auf den Heimweg. Der Kamerad schwang sich wieder hinten auf, und der Heimweg war nicht lange.
Am nächsten Mittag wurde der Bursche zur königlichen Tafel geladen. Aber da hatte die Prinzessin ein so hochnäsiges Benehmen und war so stolz und schnippisch, dass sie fast gar nicht nach der Seite hinsah, wo der Bursche saß. Aber nachdem man gespeist hatte, machte sie ein recht feierliches Gesicht und fragte zuckersüß:
“Du hast wohl die Schere noch, die ich dir gestern zum Aufheben gegeben habe?”
“Ja, hier ist sie,” sagte der Bursche, zog die Schere heraus und schleuderte sie auf den Tisch, dass es nur so klirrte. Die Prinzessin hätte nicht mehr erschrecken können, wenn er ihr die Schere ins Gesicht geworfen hätte.
Aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel und sagte mit süßer Stimme:
“Da du die Schere so gut verwahrt hast, wird es dir nicht so schwer fallen, mein Knäuel Goldfaden aufzuheben. Morgen mittag möchte ich es wiederhaben, aber wenn du es da nicht hast, so musst du von Rechts wegen sterben,” sagte sie;
der Bursche meinte, das sei ja nicht so schwer, und steckte das Knäuel Goldfaden in die Tasche. Aber da fing die Prinzessin wieder an, mit ihm zu scherzen und Spaß zu treiben, so dass er sich selbst und das goldene Knäuel dazu vergaß, und während sie mitten im lustigsten Spaß darin waren, stibitzte sie ihm das Knäuel weg und hieß ihn dann gehen.
Als er hinauf in die Kammer kam und erzählte, was sie gesagt und getan hatte, fragte sein Kamerad:
“Du hast doch das Knäuel noch?”
“Ja freilich,” sagte der Bursche und griff in die Tasche, in die er es gesteckt hatte. Aber da war kein Knäuel, und da kam er so in Verzweiflung, dass er nicht wusste, was anfangen.
“Sei nur ruhig,” sagte der Kamerad, “ich will sehen, ob ich es nicht wiederbekommen kann.”
Er nahm sein Schwert und seinen Hut und ging zu einem Schmied und ließ an sein Schwert noch zwölf Pfund Eisen aufschmelzen; als er dann in den Stall kam, gab er dem Bock damit einen Schlag zwischen die Hörner, dass er taumelte, und fragte ihn: “Wann reitet die Prinzessin heut Nacht zu Ihrem Liebsten?”
“Punkt zwölf Uhr,” sagte der Bock.
Da setzte er wieder seinen Drei-Schwestern-Hut auf und wartete, bis die Prinzessin mit dem Salbenhorn kam und den Bock einrieb: Dann sagte sie wieder wie das erste mal:
“Auf ! Auf über Giebel und Turm, über Land, über See, über Berg und Tal; zum Liebsten, der mich im Berg erwartet,” Wie nun der Bock auffuhr, schwang sich der Kamerad hinten auf, und nun ging es wie der Blitz durch die Luft.
Bald waren sie am Trollberg; und als sie drei Schläge getan hatte, ging es durch den Berg hindurch bis zu dem Troll; der ihr Liebster war.
“Wie hast du denn die goldene Schere verwahrt, die ich dir gestern gab, mein Freund?” fragte die Prinzessin.
“Der Freier hatte sie und gab sie mir wieder”
Das sie ganz unmöglich, sagte der Troll, denn er habe sie in einem Schrein mit drei Schlössern eingeschlossen und die Schlüssel in seinen hohlen Zahn gesteckt. Aber als sie den Schrein aufschlossen, war keine Schere darin: Da erzählte die Prinzessin, dass sie ihm nun ihr goldenes Knäuel gegeben hätte.
“Hier ist es,” sagte sie, “ich hab es ihm wieder abgenommen, ohne dass er es merkte, aber was sollen wir nun anfangen, wenn er sich auf solche Künste versteht?”
Der Troll wusste auch keinen Rat; aber als sie eine Weile nachgedacht hatten, kamen sie auf den Gedanken, ein großes Feuer anzuzünden und das Knäuel zu verbrennen, dann könne der Freier es gewiss nicht wiederbekommen. Aber wie sie es ins Feuer warf, stand der Kamerad auf dem Sprung und fing es auf, ohne dass es jemand sah, denn er hatte den Drei-Schwestern-Hut auf.
Als die Prinzessin eine Weile bei dem Troll gewesen war und es gegen Morgen ging, fuhr sie wieder heim; der Kamerad saß wieder hinten auf, und die Heimreise ging rasch und gut. Als der Bursche zur Tafel geladen wurde, gab der Kamerad ihm das Knäuel. Die Prinzessin war noch spitzer und spöttischer als das erste mal, und nachdem man gegessen hatte, kniff sie den Mund ganz schmal und sagte:
“Könnte ich nicht vielleicht mein goldenes Knäuel wiederbekommen, das ich dir gestern gab?”
“ Ja,” sagte der Bursche, “das kannst du haben; hier!”,
und er warf es auf den Tisch, dass er dröhnte und der König vor Schrecken hoch in die Höhe fuhr.
Die Prinzessin wurde weiß wie eine Leiche, aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel und sagte, er habe seine Sache gut gemacht.
Nun habe er nur noch eine kleine Probe zu bestehen:
“Wenn du mir das, an was ich denke, bis morgen mittag beschaffen kannst, so sollst du mich haben und behalten.”
Der Bursche kam sich vor wie ein zum Tode Verurteilter, denn es schien ihm ganz unmöglich, zu wissen, an was die Prinzessin denke, und noch unmöglicher, den Gegenstand zu beschaffen. Und als er in seine Kammer kam, konnte ihn der Kamerad kaum beruhigen. Er sagte, er wolle die Sache schon in die Hand nehmen wie die beiden ersten Male, und schließlich beruhigte sich der Bursche und legte sich schlafen. Inzwischen ging der Kamerad wieder zu dem Schmied und ließ sich noch vierundzwanzig Pfund Eisen an sein Schwert anschmieden, und als das geschehen war, ging er in den Stall und hieb den Bock zwischen die Hörner, dass er an die andere Wand flog.
“Wann reitet die Prinzessin heut Nacht zu ihrem Liebsten?” sagte er.
“Punkt ein Uhr”, meckerte der Bock.
Als es Zeit war, stand der Kamerad mit seinem Drei-Schwestern-Hut im Stall, und nachdem sie den Bock eingerieben und ihren Spruch gesagt hatte wie sonst, ging es wieder durch die Luft davon, und der Kamerad saß hinten auf. Aber diesmal war er gar nicht sanft, sondern gab der Prinzessin bald hier einen Puff, bald dort einen Puff und zerbläute sie fürchterlich Als sie an die Felswand kamen, klopfte sie dreimal an, und der Berg öffnete sich, und sie fuhren hindurch bis zu ihrem Liebsten.
Da beklagte sie sich sehr bei ihm und jammerte und sagte, sie hätte nicht gedacht, dass einen das Wetter so mitnehmen könne; es sei ihr vorgekommen, als fliege jemand mit, der auf sie und den Bock schlagen würde, und sie sei gewiss am ganzen Leibe braun und blau, so bös sei er mit ihr umgegangen.
Und dann erzählte sie, dass der Freier auch das Knäuel wieder gehabt habe; wie das zugegangen war, konnte sich weder sie noch der Troll denken.
“Aber weißt du, was ich mir ausgedacht habe?” sagte sie.
Das konnte der Troll nicht wissen.
“Ja”, sagte sie, “ich habe ihm gesagt, er solle mir das, an was ich denke, bis morgen mittag schaffen, und das war dein Kopf. Glaubst du, lieber Freund, dass er das schaffen kann?” sagte die Prinzessin und tat dem Troll recht schön.
“Das glaube ich nicht”, sagte der Troll,
und er war seiner Sache ganz sicher und lachte und gluckste vor Vergnügen ganz bösartig, und er und die Prinzessin glaubten steif und fest, eher werde der Bursche aufs Rad geflochten und Futter für die Raben, als dass er den Kopf des Troll beischaffen könne.
Als es gegen Morgen ging, wollte die Prinzessin wieder nach Hause, aber sie hatte Angst, denn sie glaubte, es sei jemand hinter ihr her, und sie traute sich nicht allein zu reiten; der Troll solle sie begleiten. Er war auch bereit dazu und zog seinen Bock aus dem Stall - er hatte den gleichen wie die Prinzessin - und rieb ihn ein und salbte ihn auch zwischen den Hörnern. Als der Troll aufgestiegen war, saß der Kamerad bei ihm hinten auf, und dann ging es durch die Luft dem Königsschloss zu.
Aber unterwegs schlug der Kamerad wacker auf den Troll und auf den Bock los und gab ihnen Hieb auf Hieb und Schlag auf Schlag mit dem Schwert, dass sie tiefer und tiefer hinunter gerieten und schließlich fast ins Meer gesunken wären, über das sie die Reise führte.
Als der Troll merkte, wie bös es draußen zuging, begleitete er die Prinzessin bis zum Schloss und machte außen halt, um zu sehen, dass sie wirklich wohlbehalten heimkam.
Aber in dem Augenblick, wo sie die Tür hinter sich zumachte, schlug der Kamerad dem Troll das Haupt ab und ging damit hinauf in die Kammer zu dem Burschen.
“Hier ist das Ding, an das die Prinzessin gedacht hat”, sagte er.
Da war denn alles in schönster Ordnung, und als der Bursche zur Tafel geladen wurde und sie gegessen hatten, wurde die Prinzessin munter wie eine Lerche.
“Hast du vielleicht das, woran ich gedacht habe?” fragte sie. ,.Ja, freilich”, sagte der Bursche
und zog das Haupt unter seinen Rockschössen hervor und schleuderte es hin, dass der Tisch mit allem, was darauf war, umfiel.
Die Prinzessin sah aus, als käme sie aus dem Grab; aber sie konnte nicht leugnen, dass das das Ding war, woran sie gedacht hatte, und nun musste sie den Burschen nehmen, wie sie versprochen hatte.
Also wurde die Hochzeit gefeiert, und es war große Freude im ganzen Königreich. Aber der Kamerad nahm den Burschen beiseite und sagte, in der Hochzeitsnacht dürfe er wohl die Augen zumachen und tun, als ob er schliefe, aber wenn er sein Leben liebhabe und ihm folgen wolle, so dürfe er auch keinen Augenblick schlafen, bevor er nicht die Prinzessin von ihrer Trollhaut befreit hätte.
Er müsse sie ihr mit neun neuen Birkenreiser lospeitschen und dann noch in drei Milchbädern abstreifen; erst solle er sie in einem Kübel voll jähriger Molken ab schruppen, dann in einem Kübel voll saurer Milch abreiben und schließlich in einem Kübel voll süßer Milch abschwemmen.
Die Birkenreiser habe er unters Bett gelegt und die drei Kübel mit Milch in die Ecke gestellt; es sei alles bereit. Der Bursche versprach, er wolle ihm folgen und tun, was er ihm gesagt hatte.
Als sie sich abends ins Bett gelegt hatten, tat er, als ob er schliefe; die Prinzessin richtete sich auf dem Ellenbogen auf, um zu sehen, ob er wirklich schlafe, und kitzelte ihn unter der Nase; aber er schlief ganz fest. Da zupfte sie ihn am Haar und am Bart.
Aber er schlief wie ein Sack, meinte sie wenigstens. Da zog sie unter ihrem Kopfkissen ein großes Schlachtermesser hervor und wollte ihm den Kopf abhacken.
Aber da fuhr der Bursche auf, schlug ihr das Messer aus der Hand, packte sie an den Haaren und peitschte sie mit den Ruten und hörte nicht auf, bis keine einzige mehr ganz war. Darauf warf er sie in den Molkekübel, und da sah er, was für ein Tier sie war, denn sie war rabenschwarz am ganzen Körper.
Aber als er sie in den Molken abgeschrubbt hatte und in der Sauermilch abgerieben und in der süßen Milch abgeschwemmt, da war die Trollhaut ganz weg, und sie war so wunderschön, wie sie zuvor noch nie gewesen war.
Am folgenden Tag sagte der Kamerad, nun sollten sie reisen. Der Bursche war reisefertig und die Prinzessin auch, denn ihre Mitgift war schon lang bereit.
In der Nacht brachte der Kamerad alles Gold und Silber und alle Kostbarkeiten, die der Troll im Berg hinterlassen hatte, ins Schloss, und als sie am Morgen fortreisen wollten, war der ganze Hof so voll, dass sie kaum durchkommen konnten.
Diese Mitgift war mehr wert als das ganze Land des Königs, und sie wussten gar nicht, wie sie sie heim schaffen sollten. Aber der Kamerad wusste einen Ausweg aus der Verlegenheit.
Der Troll hatte auch sechs Böcke hinterlassen, die durch die Luft fliegen konnten. Die belud er so reichlich mit Gold und Silber, dass sie auf der Erde gehen mussten und nicht stark genug waren, um sich in die Luft zu heben; was die Böcke nicht mehr tragen konnten, musste im Schloss zurückbleiben. So reisten sie eine lange Zeit, aber schließlich wurden die Böcke so müde und elend, dass sie nicht mehr weitergehen konnten.
Der Bursche und die Prinzessin wussten sich nicht zu helfen; aber als der Kamerad sah, dass sie nicht mehr von der Stelle kamen, nahm er die ganze Mitgift auf den Rücken, legte die Böcke obendrauf und trug das alles, bis man nur noch eine halbe Meile von der Heimat des Burschen entfernt war.
Dann sagte der Kamerad:
“Nun muss ich mich von dir trennen; ich kann nicht weiter bei dir bleiben.”
Aber der Bursche wollte von einer Trennung nichts wissen und wollte ihn um keinen Preis scheiden lassen.
Also ging er noch eine halbe Meile mit, aber weiter konnte er nicht mehr, und als der Bursche in ihn drang und ihn nötigen wollte, mit ihm nach Hause zu kommen und da zu bleiben oder doch wenigstens die Heimkehr mitzufeiern, da sagte er immer nur, nein, er könne nicht.
Da fragte ihn der Bursche, was er denn haben wolle als Lohn für seine Begleitung und Hilfe.
“Wenn ich mir etwas wünschen soll, so möchte ich die Hälfte haben von allem, was du in den nächsten fünf Jahren gewinnst«, sagte der Kamerad.
Das wurde ihm auch zugesagt. Als der Kamerad fort war, versteckte der Bursche seinen ganzen Reichtum und zog spornstreichs nach Hause.
Da feierten sie die Heimkehr mit einem Fest, dass man in sieben Königreichen davon sprach, und als das vorbei war, mussten sie den ganzen Winter lang mit den Böcken und mit den zwölf Pferden, die der Vater hatte, hin und her fahren, um alles das Gold und Silber nach Hause zu schaffen.
Nach fünf Jahren kam der Kamerad wieder und wollte sein Teil haben. Da schied der Mann seine ganze Habe in zwei gleiche Teile.
“Aber ein Ding hast du nicht geteilt”, sagte der Kamerad. “Was wäre das?” fragte der Mann.” Ich glaubte, ich hätte alles geteilt.”
“Du hast doch ein Kind bekommen”, sagte der Kamerad;” das musst du auch in zwei Teile teilen.”
Ja, so war es wirklich. Er nahm also das Schwert, aber als er es aufhob und das Kind teilen wollte, packte der Kamerad die Schwertspitze, so dass er nicht zuschlagen konnte.
“Freust du dich nicht, dass du nicht zuschlagen musstest?” sagte er.
“Ja; so froh war ich noch nie”, sagte der Mann.
“So froh war auch ich, als du mich aus dem Eisklumpen befreitest,” sagte der Kamerad.
“Behalte alles, was du hast; ich brauch nichts, denn ich bin ein schwebender Geist.”
Und er erzählte, er sei der Weinhändler, der in dem Eisklotz vor der Kirchentür lag und den alle anspuckten; und er sei sein Kamerad geworden und habe ihm geholfen, weil der Bursche seine Habe hergegeben habe, um ihm Frieden und ein christliches Begräbnis zu verschaffen.
Er habe ihn ein Jahr lang begleiten dürfen, und das sei bei ihrem ersten Abschied abgelaufen gewesen.
Nun habe er ihn nochmals besuchen dürfen, aber jetzt müssten sie für alle Zeiten scheiden, denn nun riefen ihn die Himmelsglocken.
Liebe Grüße
Bettina
Rezitante und Musäusfan-ny
RE: skandinavische Märchen
in sonstige europäische Märchen 19.02.2008 21:06von Gemini • | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte
Lasse mein Knecht
schwedisches Märchen
Es war einmal ein Prinz oder Herzog oder was er nun war, aber von ungeheuer hoher Abkunft war er auf jeden Fall, und daheim wollte er auch nicht bleiben. So zog er in der Welt herum, und wo er auch hinkam, da wurde er wohl aufgenommen und verkehrte mit den feinsten Leuten, denn Geld hatte er unerhört viel. Freunde und Bekanntschaften hatte er gleich, wo er auch hinkam, denn wer einen vollen Trog hat, findet immer Schweine, die ihre Rüssel hineinstecken wollen. Da er aber so mit seinem Geld umging, wurde es immer weniger, und zuletzt saß er so auf dem Trockenen, daß er keinen roten Heller mehr hatte. Nun war es auch aus mit den vielen Freunden, denn die machten es wie die Schweine. Als er ganz ausgebeutelt war und ihnen nichts mehr geben konnte, fingen sie an zu grunzen und zu plärren und liefen auseinander, jeder seines Wegs. Da stand er nun genasführt und allein. Alle hatten ihm eifrig von seinem Geld geholfen, aber wieder dazu helfen wollte ihm keiner, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als wie ein Handwerksbursch heimzuwandern und unterwegs sich Brotkrusten zusammenzubetteln.
Spät eines Abends kam er in einen großen Wald und wußte schlechterdings nicht, wo er in der Nacht unterkommen sollte. Aber wie er guckte und suchte, da fiel sein Blick auf eine alte Hütte, die zwischen dem Gebüsch hervorschaute. Das war freilich kein Quartier für einen so feinen Herrn, aber wenn man nicht haben kann, was man will, so muß man nehmen, was man kriegt, und da er sich nicht anders zu helfen wußte, so ging er eben in die Hütte. Nicht eine Katze war darin und nicht einmal ein Schemel zum Sitzen. Aber an der einen Wand stand eine große Kiste. Was könnte wohl in der Kiste sein? Wenn da am Ende etliche schimmelige Brotbrocken darin wären? Das würde er sich schmecken lassen, denn er hatte den ganzen Tag nicht das kleinste Almosen bekommen und war so hungrig und leer, daß ihm die Därme an den Rippen klebten. Er machte die Kiste auf. Aber in der Kiste war wieder eine andere Kiste, und in dieser Kiste war noch eine Kiste, und so immer fort, die eine kleiner als die andere, bis es nur mehr ganz kleine Schächtelchen und Kästchen waren. Je mehr es wurden, um so mehr plagte er sich, denn es mußte doch etwas Wunderschönes darin sein, weil es so sorgsam versteckt war.
Schließlich kam er an ein kleines Kästchen, und in dem Kästchen lag ein Stück Papier - und das war alles, was er von seiner Mühe hatte. Das war freilich fürs erste sehr betrüblich. Aber auf einmal sah er, daß etwas Geschriebenes auf dem Fetzchen stand, und als er genauer zusah, konnte er sogar Worte herausbuchstabieren, obgleich es zuerst kurios aussah. Da las er:
»Lasse, mein Knecht!«
Und kaum hatte er die Worte ausgesprochen, so gab es dicht an seinem Ohr Antwort:
»Was befiehlt der Herr?«
Er schaute sich um, aber er sah keinen Menschen. Das ist doch wunderlich, dachte er und las noch einmal:
»Lasse, mein Knecht!«
Und da kam auf die gleiche Art die Antwort:
»Was befiehlt der Herr?«
»Wenn hier ein Mensch ist, der hört, was ich sage, der könnte wohl so gut sein und mir ein bißchen was zu essen verschaffen,« sagte er; und im gleichen Augenblick stand ein Tisch in der Hütte, gedeckt mit allem, was man sich Gutes nur denken kann. Er gleich ans Essen und Trinken und schlug sich tüchtig den Ranzen voll. So gut hatte er es seiner Lebtag noch nicht gehabt, dachte er. Als er sich nun gehörig satt gegessen hatte, wurde er schläfrig und griff wieder nach dem Fetzen.
»Lasse, mein Knecht!«
»Was befiehlt der Herr?«
»Nun hast du mir zu essen und zu trinken gegeben, nun sollst du mir auch ein Bett zum Schlafen verschaffen. Aber ein recht schönes Bett will ich haben,« sagte er, denn ihr könnt euch denken, daß er nun schon höher hinaus wollte, nachdem er sich sattgegessen hatte. Und es geschah auch; und ein Bett so fein und schön stand in der Hütte, daß der König selbst nach einer ähnlichen Schlafgelegenheit suchen könnte. Nun war ja alles schön und gut, aber das Bessere ist der Feind des Guten, und als er sich gelegt hatte, fand er die Hütte doch gar zu elend für ein so schönes Bett. Da nahm er das Papier:
»Lasse, mein Knecht!«
»Was befiehlt der Herr?«
»Wenn du ein solches Essen und ein solches Bett in den wilden Wald hier schaffen kannst, so kannst du mir auch gewiß ein schöneres Gemach verschaffen, denn siehst du, ich bin ja einer, der sonst in einem Schloß schläft mit Goldspiegeln und goldenen Tapeten und Verzierungen und Bequemlichkeiten aller Art,« sagte er. Kaum hatte er die Worte recht gesagt, so lag er auch schon im prächtigsten Zimmer, das er jemals gesehen hatte.
Nun hatte er es schön, fand er, und war gerade zufrieden, als er das Gesicht zur Wand drehte und die Augen zumachte.
Aber es war doch noch nicht genug des Prunkes, denn als er am anderen Morgen aufwachte und sich umsah, so war es ein großes Schloß, in dem er geschlafen hatte. Da war ein Zimmer neben dem anderen, und wo er hinkam, war alles voll Verzierungen und Schnörkeln aller Art, die Wände und die Decke, und alles schimmerte so herrlich, wenn die Sonne darauf schien, daß er die Hand vor die Augen halten mußte, so funkelte es überall von Gold und Silber, wo er hinsah. Da schaute er durchs Fenster und hui! war das erst schön. Das war ein ander Ding als Tannenbäume und Wacholderbüsche, nein, da war der schönste Garten, den man sich wünschen konnte, mit herrlichen Bäumen und Rosen aller Art in Büschen und in Stöcken. Aber kein Mensch war zu sehen, nicht einmal eine Katze, und das war ganz natürlich, daß er es so fein hatte und wieder ein großer Herr geworden war.
Da nahm er das Stück Papier:
»Lasse, mein Knecht!«
»Was befiehlt der Herr?«
»Nun hast du mir Essen geschafft und ein Schloß darin zu wohnen - denn hier will ich bleiben - denn hier behagt es mir,« sagte er, »aber so ganz allein kann ich doch hier nicht sein. Ich muß Knechte und Mägde haben, von denen ich mich bedienen lassen kann, und sehen, was sie treiben,« sagte er. So geschah es auch; es kamen Bediente und Lakaien und Mägde und Mamsellen aller Art, und die einen verbeugten sich und die anderen machten einen Knicks, und nun fühlte sich der Herzog wirklich zufrieden.
Nun lag aber auch ein großes Schloß auf der anderen Seite des Waldes, und da wohnte ein König, dem gehörte der Wald und große, große weite Felder rings herum. Als der nun nach Hause kam und zufällig zum Fenster hinausschaute, da erblickte er das neue Schloß, auf dessen Dach die goldenen Wetterfahnen sich hin und her schwangen und ihm von Zeit zu Zeit in die Augen glitzerten. »Das ist doch kurios,« dachte er und rief seine Hofherren. Die kamen eiligst herein und machten Komplimente und Kratzfüße.
»Seht ihr das Schloß dort?« sagte der König.
Sie machten tellergroße Augen und guckten.
Ja, gewiß sahen sie das.
»Wer ist der, der gewagt hat, ein solches Schloß auf meinem Grund und Boden zu bauen?«
Sie machten Komplimente und Kratzfüße und wußten nichts. Da rief der König seine Soldaten: Die kamen hereingestampft und präsentierten das Gewehr.
»Schickt alle meine Soldaten und Reiter aus,« sagte er, »und reißt das Schloß dort nieder und hängt den auf, der es gebaut hat, und das auf der Stelle!«
In der größten Eile traten die Soldaten an und machten sich auf den Weg. Die Trommler bumsten auf das Trommelfell, und die Trompeter tuteten in die Trompeten, und die anderen Musikanten betrieben ihre Kunst, jeder auf seine Weise, so daß der Herzog sie schon längst hörte, ehe er sie sehen konnte. Aber er hatte schon früher solche Musik gehört und wußte auch, was sie bedeutete, und da nahm er wieder sein Stück Papier.
»Lasse, mein Knecht!«
»Was befiehlt der Herr?«
»Hier kommen Soldaten,« sagte er, »und nun sollst du mir Soldaten und Reiter verschaffen, daß ich noch einmal so viel habe, als die da hinter dem Wald. Und Säbel und Pistolen und Büchsen und Kanonen, und alles, was dazu gehört - aber schnell muß es gehen.«
Schnell ging es auch, und als der Herzog hinausschaute, da hatte er eine unerhörte Masse Soldaten rings um das Schloß aufgestellt.
Als nun die Leute des Königs kamen, blieben sie stehen und wagten sich nicht weiter vor. Aber der Herzog war nicht schüchtern und ging direkt auf den Obersten des Königs zu und fragte, was er wolle.
Der Oberst sagte seinen Auftrag.
»Das hat gar keinen Wert für euch,« sagte der Herzog. »Du siehst wohl, wieviel Leute ich habe, und wenn der König auf mich hören will, so können wir auf der Stelle Freunde werden und ich will ihm gegen seine Feinde helfen und das wird schon glücken.« Dem Oberst gefiel der Vorschlag, und da lud der Herzog ihn und alle seine Offiziere ins Schloß, und die Leute bekamen einen Schluck oder auch zwei und vieles Eßbare dazu. Aber als sie nun aßen und tranken, kam man ins Erzählen, und der Herzog erfuhr, daß der König eine Tochter hatte, die noch ledig sei und so wunderschön, daß noch niemand ihresgleichen gesehen hatte. Und je mehr man den Soldaten des Königs auftrug, um so mehr waren sie der Meinung, daß die Königstochter eine gute Frau für den Herzog sei. Wie sie so sprachen, kamen auch dem Herzog selber derartige Gedanken. Das Schlimmste sei, sagten die Soldaten, daß sie sehr stolz sei und niemals einen Mann anschauen wolle. Aber da lachte der Herzog nur. »Wenn es nichts Schlimmeres ist,« sagte er, »diese Krankheit kann man schon heilen.«
Als nun die Soldaten soviel gezecht hatten, als nur in sie hineingehen wollte, riefen sie hurra, daß es in den Bergen widerhallte, und zogen davon. Und man kann sich vorstellen, daß sie einen schönen Parademarsch machten, denn sie waren ein bißchen locker in den Knien, und es war mancher darunter, bei dem diesmal nicht alle Schrauben fest waren. Der Herzog trug ihnen Grüße an den König auf. Er wolle ihn bald besuchen, sagte er.
Als der Herzog nun wieder allein war, fing er wieder an, an die Prinzessin zu denken, und ob sie wirklich so fein und schön wäre, wie die Soldaten gesagt hatten, das hätte er gerne selber sehen wollen. Und nachdem an diesem Tag schon so viel Wunderbares passiert war, so wäre das auch nicht unmöglich, dachte er.
»Lasse, mein Knecht!«
»Was befiehlt der Herr?«
»Nun sollst du mir die Königstochter herbeischaffen, sobald sie eingeschlafen ist,« sagte er. »Aber sie darf auf dem Hinweg und auf dem Rückweg nicht aufwachen, hörst du?« sagte er. Und es dauerte nicht lange, so lag die Prinzessin auf dem Bett. Sie schlief so gut und sah so reizend aus, wie sie so dalag. Ganz zuckersüß war sie, das muß man sagen. Der Herzog ging rund um sie herum, aber von allen Seiten war sie gleich schön, und je mehr er schaute, um so besser gefiel sie ihm.
»Lasse, mein Knecht!«
»Was befiehlt der Herr?«
»Nun sollst du die Prinzessin wieder heimtragen,« sagte er. »Denn jetzt weiß ich, wie sie aussieht, und morgen will ich um sie werben,« sagte er.
Am nächsten Morgen schaute der König zum Fenster hinaus.
»Nun brauche ich doch das Schloß dort drüben nicht mehr zu sehen,« dachte er bei sich. Aber ging das nicht mit dem Bösen zu - da stand es noch gerade so wie zuvor, und die Sonne schien so schön aufs Dach, und die Wetterfahnen glitzerten ihm in die Augen.
Nun wurde er zornig und schrie nach allen seinen Leuten; die kamen rascher herbei als gewöhnlich. Die Hofherren machten Komplimente und Kratzfüße, und die Soldaten machten Parademarsch und präsentierten.
»Seht ihr das Schloß dort?« schrie der König.
Sie streckten die Hälse und machten Augen wie die Teller und guckten.
Ja, freilich sahen sie es.
»Habe ich euch nicht befohlen, das Schloß niederzureißen und den Bauherrn aufzuhängen?« sagte er.
Das konnten sie freilich nicht leugnen, aber nun trat der Oberst selber vor und tat Bescheid, wie alles zugegangen war, und wie unheimlich viel Soldaten der Herzog hätte, und wie wunderschön es auf seinem Schlosse sei. Dann erzählte er auch, was der Herzog gesagt hatte, und daß er ihm auch Grüße an den König aufgetragen hatte.
Dem König wurde es ganz kurios im Kopf, und er mußte seine Krone auf den Tisch stellen und sich am Kopf kratzen. Das konnte er denn doch nicht begreifen - obwohl er König war, denn er konnte darauf schwören, daß das alles in einer einzigen Nacht zustande gekommen war, und wenn der Herzog dort nicht der Böse selber war, so mußte er doch ein Zauberer sein.
Wie er so dasaß und sinnierte, kam die Prinzessin herein.
»Grüß Gott, Vater,« sagte sie. »Weißt du, ich habe einen so schönen und wunderlichen Traum gehabt heute Nacht,« sagte sie.
»Was hast du denn geträumt, mein Mädel?« sagte der König.
»Ja, ich habe geträumt, ich sei auf dem neuen Schloß da drüben, und da war ein so schöner und prächtiger Herzog, daß ich mir nie etwas Ähnliches vorgestellt habe; und jetzt will ich einen Mann haben.«
»Was, du willst einen Mann haben und hast dich nie herabgelassen, einen Mann auch nur anzuschauen; das ist ja sonderbar!« sagte der König.
»Das kann schon sein,« sagte die Prinzessin, »aber jetzt ist es so, und jetzt will ich einen Mann haben, und gerade den Herzog,« schloß sie.
Der König kam aus der Verwunderung über den Herzog gar nicht mehr heraus.
Aber auf einmal hörte er einen sonderlichen Klang von Trommeln und Trompeten und anderen Instrumenten aller Art. Und es kam Botschaft, der Herzog sei da mit großer Gefolgschaft, und alle seien so prächtig, daß es von Gold und Silber an jeder Naht nur so blitze. Der König, mit der Krone und in seinem schönsten Prachtgewand, schaute die Treppe hinunter, und der Prinzessin fuhr die Eile noch mehr in die Beine.
Der Herzog grüßte freundlich, und der König tat das gleiche, und wie sie so über ihre Sachen und Angelegenheiten sprachen, so wurden sie gute Bekannte. Es gab ein großes Gelage, und der Herzog saß bei Tisch neben der Prinzessin. Was sie unter sich besprachen, weiß ich freilich nicht, aber der Herzog verstand so schön zu sprechen, daß, was er auch sagte, die Prinzessin nicht nein darauf sagen konnte, und so ging er zum König und warb um sie. Der König konnte auch gerade nicht nein sagen, denn der Herzog war ein Mann, mit dem er lieber essen als prozessen wollte, das wußte der König wohl, aber so auf einmal seine Zusage geben, das konnte er auch nicht. Er wolle zuerst das Schloß des Herzogs sehen und wissen, wie es bei ihm aussehe in der und jener Hinsicht - das sei ja klar.
Es wurde also ausgemacht, daß er zum Herzog auf Besuch kommen und die Prinzessin mitnehmen sollte, damit sie sein Hab und Gut besehen könnten, und damit schieden sie.
Als nun der Herzog heimkam, da gab es viel zu springen für Lasse, denn nun bekam er viele Aufträge. Aber wie er sprang und schaffte, da wurde alles so schön und fein, als der König kam mit seiner Tochter, daß es tausend Leute nicht beschreiben könnten. Sie gingen durch alle Räume und schauten sich um, und es war alles, wie es sein sollte, und noch viel schöner, dachte der König, und er war sehr vergnügt. Nun wurde die Hochzeit gefeiert, und als sie aus war, und der Herzog mit seiner jungen Frau nach Hause kam, da hielt er auch ein prachtvolles Gelage, und so war es mit der Sache.
Als eine Zeit vergangen war, hörte der Herzog eines Abends die Worte:
»Ist der Herr jetzt zufrieden?«
Das war Lasse, obgleich der Herzog ihn nicht sehen konnte.
»Wohl zufrieden,« sagte der Herzog. »Du hast mir ja alles verschafft, was ich habe,« sagte er.
»Aber was habe ich dafür bekommen?« sagte Lasse.
»Nichts,« sagte der Herzog, »aber, lieber Gott! was sollte ich dir geben können, der du nicht aus Fleisch und Blut bist, und den ich nicht einmal sehen kann,« sagte er. »Aber wenn es etwas gibt, mit dem ich dir dienen kann, so sage, was es ist, und ich will es tun.«
»Ich möchte gar so gerne das kleine Stückchen Papier haben, das Ihr in dem Kästchen habt,« sagte Lasse.
»Wenn es sonst nichts ist!« sagte der Herzog, »wenn ich dir mit so wenig helfen kann, so geht es wohl an, denn die Worte kann ich, glaube ich, nun auswendig,« sagte er.
Lasse dankte und sagte, der Herzog möge das Papier auf den Stuhl vor seinem Bett legen, wenn er schlafen gehe, dann wolle er es in der Nacht schon holen.
Der Herzog tat so, und dann gingen er und die Prinzessin ins Bett und schliefen.
Aber als es gegen Morgen ging, da wachte der Herzog auf und fror, daß ihm die Zähne klapperten, und wie er die Augen richtig aufbekam, da war er ganz nackt und hatte nicht einen Faden mehr am Leibe, und statt des schönen Bettes und des schönen Schlafgemachs und des prächtigen Schlosses lag er auf der großen Kiste in der alten Hütte. Gleich rief er:
»Lasse, mein Knecht!«
Aber er bekam keine Antwort. Da rief er noch einmal:
»Lasse, mein Knecht!«
Aber auch diesmal bekam er keine Antwort. Da schrie er, so laut er konnte:
»Lasse, mein Knecht!«
Aber auch das war vergebens.
Nun fing er an zu begreifen, wie das zuging, und daß Lasse, als er das Papier bekam, des Dienstes ledig wurde, und nun hatte er selber dazu geholfen. Aber nun war es, wie es war, und da stand der Herzog in der alten Hütte ganz nackt. Aber die Prinzessin war auch nicht viel besser dran, obgleich sie ihre Kleider behalten hatte, denn die hatte sie von ihrem Vater, und Lasse hatte keine Macht darüber.
Nun mußte der Herzog der Prinzessin das alles auseinandersetzen und sie bitten, von ihm zu gehen, er würde wohl allein am besten zurechtkommen, sagte er. Aber sie wollte nicht. Sie erinnere sich besser an das, was der Pfarrer gesagt hätte, als er sie einsegnete, daß sie niemals, niemals von ihm gehen sollte, sagte sie.
Schließlich wachte auch der König auf seinem Schloß auf, und als er aus dem Fenster schaute, da sah er nicht ein Stäubchen mehr von dem anderen Schloß, wo seine Tochter und sein Schwiegersohn wohnten. Da wurde er unruhig und rief nach seinen Hofherren.
Die kamen herein und verbeugten und krümmten sich.
»Seht ihr das Schloß da drüben hinter dem Wald?« fragte er.
Die streckten die Hälse und machten große Augen.
Aber sie sahen nichts.
»Wo ist das hingekommen?« sagte der König.
Das wußten sie erst recht nicht.
Nun stand es nicht lange an, so machte sich der König mit seinem ganzen Hof auf, ging durch den Wald, und als er an die Stelle kam, wo das Schloß mit dem großen Garten stehen sollte, da sah er nichts anderes als Heidekraut und Wacholder und Kiefernbüsche. Aber er erblickte die kleine Hütte, die da zwischen den Büschen stand. Da ging er hinein, und, ach, der Arme! was bekam er da zu sehen! Da stand sein Schwiegersohn ganz nackt, und seine Tochter hatte auch nicht allzuviel mehr an, und sie weinte und flennte ganz schrecklich.
»Ums Himmels willen! was ist denn hier los?« sagte der König. Aber er bekam keine Antwort, denn der Herzog hätte lieber sterben wollen, als ihm die Geschichte erklären.
Der König redete gewaltig auf ihn ein, im Guten und im Bösen, aber er war immer gleich widerborstig und ließ alles an sich ablaufen. Da wurde der König wütend, was wohl niemand wundern wird, denn nun merkte er, daß dieser feine Herzog nicht der war, der er sein sollte, und darum befahl er, man solle ihn aufhängen, und zwar auf der Stelle. Wohl bat die Prinzessin so herzlich für ihn, aber nun half kein Bitten und Weinen, denn ein Schuft war er, und wie ein Schuft sollte er sterben - meinte der König.
Und so ging es auch. Die Leute richteten einen Galgen auf und legten dem Herzog eine Schlinge um den Hals. Aber als sie den Galgen zurüsteten, erwischte die Prinzessin den Henker und gab ihm und seinen Burschen ein Trinkgeld, damit sie es so einrichten sollten, daß der Herzog nicht sterben brauche. Und gegen Abend sollten sie ihn abschneiden, und dann werde er und die Prinzessin sich davon machen. So wurde es ausgemacht. Inzwischen zogen sie ihn hinauf, und dann ging der König mit seinem Hofstaat und der ganzen Volksmenge fort.
Nun war es Matthäi am letzten mit dem Herzog. Aber er hatte auch gut Zeit, um nachzudenken, wie übel er getan hatte, daß er nicht mit den Brocken angefangen, sondern sich gleich in den vollen Brotkorb gesetzt hatte; und daß er gar so dumm gewesen war und Lasse den Papierfetzen wiedergegeben hatte, das ärgerte ihn noch am allermeisten. Wenn ich nur den zurück hätte, so sollten alle Leute sehen, daß ich durch Schaden klug geworden bin, dachte er bei sich. Aber wenn die Kuh hineingefallen ist, deckt man den Brunnen zu! Ja ja, so so! Und er baumelte mit den Beinen, denn etwas anderes konnte er zurzeit nicht anfangen.
Das war ein böser Tag für ihn, und er war nicht betrübt, als er merkte, daß die Sonne hinter den Wald hinuntersank. Aber gerade bei Sonnenuntergang hörte er auf einmal ein erschreckliches Hoiho! und als er hinunterschaute, kamen da sieben Wagen voll zerrissene Schuhe, und zu oberst auf der letzten Fuhre saß ein kleiner Alter in grauen Kleidern und mit einer Zipfelmütze auf dem Kopf. Ein Gesicht hatte er wie das greulichste Gespenst, und sonst war er auch nicht viel schöner.
Er fuhr geradewegs auf den Galgen zu, und als er darunter war, hielt er und schaute zu dem Herzog hinauf, und dann lachte er - der abscheuliche Alte.
»So dumm bist du gewesen?« sagte er, »aber was sollte so ein Kerl mit seiner Dummheit anfangen, wenn er sie nicht benützen wollte« - und da lachte er wieder. »Ja, dort hängst du nun, und hier fahre ich mit allen den Schuhen, die ich für dein dummes Zeug zerrissen habe. Es wundert mich nur, ob du lesen kannst, was auf dem Fetzen da steht, und ob du ihn kennst,« sagte er und lachte wieder und machte wüste Faxen und fuhr dem Herzog mit dem Fetzen unter die Nase.
Aber es sind nicht alle tot, die am Galgen hängen, und diesmal war doch Lasse der Dümmere.
Der Herzog packte zu und riß ihm den Fetzen aus der Hand.
»Lasse, mein Knecht!«
»Was befiehlt der Herr?«
»Nun schneid mich vom Galgen herunter und richte das Schloß und alles wieder her, genau wie es war, und wenn es Nacht wird, so führe die Prinzessin wieder her.«
Es ging unheimlich schnell, und bald war alles wieder genau, wie es war, ehe sich Lasse davonmachte.
Als der König am andern Morgen aufwachte, schaute er zum Fenster hinaus, wie gewöhnlich, und da stand das Schloß wieder, und die Wetterfahnen glänzten wunderschön im Sonnenschein. Er rief nach seinen Hofherren, und die kamen herein und machten Komplimente und Kratzfüße.
»Seht ihr das Schloß dort?« sagte der König.
Sie streckten die Hälse so lang sie konnten und glotzten und stierten.
Ja, ja, sie sähen es schon.
Da schickte der König nach der Prinzessin, aber sie war nicht da. Nun ging der König, um zu schauen, ob der Schwiegersohn an seinem Ort hinge, aber da war weder Schwiegersohn noch Galgen zu sehen.
Da mußte er die Krone absetzen und sich am Kopf kratzen. Aber es wurde deswegen nicht anders, und wie es so richtig zusammenhing, das konnte er wahrhaftig nicht begreifen. Schließlich machte er sich mit seinem ganzen Hofstaat auf den Weg, und als er an die Stelle kam, wo das Schloß stehen sollte, da stand es auch. Die Gärten und die Rosen waren ganz wie sonst, und die Leute des Herzogs waren scharenweise überall unter den Bäumen zu sehen. Der Schwiegersohn selber und seine Tochter kamen ihm in den feinsten Kleidern auf der Treppe entgegen.
Das geht mit dem Teufel zu, dachte der König, und er wagte kaum seinen Augen zu trauen, so kurios kam ihm das vor.
»Grüß Gott und willkommen, Vater,« sagte der Herzog. Der König starrte ihn nur so an. »Bist du mein Schwiegersohn, du?« fragte er. »Ja freilich,« sagte der Herzog, »wer soll ich denn sonst sein?« »Hab ich dich nicht gestern wie einen Dieb und Landstreicher hängen lassen?« sagte der König.
»Nun glaube ich wirklich, der Vater ist unterwegs irr geworden,« sagte der Herzog und lachte. »Glaubt Vater denn, daß ich mich so ruhig hängen ließe? - Oder ist hier jemand, der das zu glauben wagt?« sagte er und richtete die Augen fest auf die Leute, daß sie genau merkten, daß er sie anschaute.
Sie krümmten sich und machten Komplimente und Kratzfüße.
Wer könnte auch so etwas glauben? Wäre das denn möglich? »Oder ist hier einer, der zu sagen wagt, daß der König mir übel will, der soll es sagen,« sagte der Herzog und schaute sie noch schärfer an als das erstemal. Sie krümmten sich und machten Komplimente und Kratzfüße.
Wie könnte auch einer auf so etwas kommen? Nein, so dumm sei keiner von ihnen, sagten sie.
Nun wußte der König wirklich nicht, was er glauben sollte. Denn wenn er den Herzog anschaute, so glaubte er, daß er ihm nie in seinem Leben hätte Übles tun können, aber ganz sicher war er seiner Sache nicht.
»Bin ich denn nicht gestern hierher gekommen, und war da nicht das ganze Schloß weg und statt dessen eine alte Hütte da, und war ich denn nicht in der Hütte und bist du denn nicht ganz nackt gerade vor meinen Augen gestanden?« fragte er.
»Was der Vater nicht alles sagt!« sagte der Herzog. »Ich glaube, ich glaube, Trolle haben euch das Gesicht verwirrt und euch im Walde irr geführt - oder was dünkt euch?« sagte er und wandte sich zu dem Hofstaat.
Die verbeugten sich und katzbuckelten gleich fünfzehnmal hintereinander und hielten es allesamt mit dem Herzog, das war ja doch selbstverständlich.
Der König rieb sich die Augen und schaute sich um.
»Es muß wohl so sein, wie du sagst,« sagte er zum Herzog, »und ich glaube, ich bin jetzt wieder zu Verstand gekommen und habe wieder meine Augen im Kopf. Denn es wäre doch Sünd und Schad gewesen, wenn ich dich hätte aufhängen lassen,« sagte er, und da wurde er wieder froh und niemand dachte mehr an die Sache.
Aber durch Schaden wird man klug, sagen die Leute, und der Herzog fing nun an das meiste selber zu schaffen und zu besorgen, so daß Lasse nicht viel Schuhe zu zerreißen hatte. Der König gab ihm gleich das halbe Reich, und er hatte viel Arbeit damit, und die Leute sagten, einen solch guten Regenten könne man weit und breit suchen.
Da kam Lasse eines Tages zum Herzog, und er sah nicht viel schöner aus als beim erstenmal, aber nun war er manierlicher und traute sich nicht zu grinsen und zu feixen.
»Nun braucht Ihr meine Hilfe nicht länger,« sagte er, »denn wenn ich früher Schuhe zerrissen habe, so kann ich nun nicht einmal ein einziges Paar auftragen und glaube fast, daß an meinen Beinen Moos wächst; da könnte ich wohl meinen Laufpaß bekommen,« sagte er.
Der Herzog war der gleichen Meinung. »Ich habe mich sehr bemüht, dich zu schonen, und ich glaube wirklich, ich kann dich entbehren,« sagte er. »Aber das Schloß hier und alle die anderen Sachen, die kann ich nicht entbehren, denn einen solchen Baumeister wie dich kann ich nie mehr bekommen, und daß ich nicht noch einmal den Galgen schmücken möchte, das kannst du wohl begreifen, also das Papier hergeben, das tu ich nicht mit freiem Willen,« sagte er.
»Solange Ihr es habt, ist keine Gefahr für mich,« sagte Lasse. »Aber wenn nun das Papier in fremde Hände kommt, so darf ich wieder anfangen zu rennen und zu schaffen, und das, ja, das möchte ich eben nicht. Denn wenn einer tausend Jahre lang so geschafft hat wie ich, so wird er schließlich müde,« sagte er.
Wie sie so verhandelten, kamen sie überein, daß der Herzog das Papier in das Kästchen legen und sieben Ellen unter die Erde graben solle, unter einen Stein, der da gewachsen war und auch da bleiben würde. Dann dankten sie einander für die gute Gesellschaft und trennten sich. Der Herzog tat nach dem Übereinkommen, und keinen Menschen ließ er es sehen. Er lebte glücklich und vergnügt zusammen mit der Prinzessin und bekam Söhne und Töchter. Als der König starb, erbte er das ganze Reich, und, ihr könnt euch denken, er stand sich nicht schlechter dabei, und dort lebt und regiert er wohl noch, wenn er nicht gestorben ist.
Aber das Kästchen mit dem Papier darin, nach dem graben und suchen viele.
Liebe Grüße
Bettina
Rezitante und Musäusfan-ny
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