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RE: Nr.47 von dem Machandelboom

in Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 12.03.2006 00:34
von Gemini | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte

Das ist nun lange her, wohl an die zweitausend Jahre, da war einmal ein reicher Mann, der hatte eine schöne fromme Frau und sie hatten sich beide sehr lieb, hatten aber keine Kinder. Sie wünschten sich aber sehr welche und die Frau betete darum soviel Tag und Nacht; aber sie kriegten und kriegten keine. Vor ihrem Hause war ein Hof, darauf stand ein Machandelboom. Unter dem stand die Frau einstmals im Winter und schälte sich einen Apfel und als sie sich den Apfel so schälte, da schnitt sie sich in den Finger und das Blut fiel in den Schnee. "Ach", sagte die Frau und sah das Blut vor sich an und war so recht wehmütig: "Hätte ich doch ein Kind, so rot wie Blut und so weiss wie Schnee." Und als sie das sagte, da wurde ihr so recht fröhlich zumute: Ihr war so recht, als sollte es etwas werden. Dann ging sie nach Hause und es ging ein Monat hin, da verging der Schnee; und nach zwei Monaten, da wurde alles grün; nach drei Monaten, da kamen die Blumen aus der Erde; und nach vier Monaten, da schossen alle Bäume ins Holz, und die grünen Zweige waren alle miteinander verwachsen. Da sangen die Vöglein, dass der ganze Wald erschallte und die Blüten fielen von den Bäumen, da war der fünfte Monat vergangen, und sie stand immer unter dem Machandelbaum, der roch so schön. Da sprang ihr das Herz vor Freude und sie fiel auf die Knie und konnte sich gar nicht lassen. Und als der sechste Monat vorbei war, da wurden die Früchte dick und stark und sie wurde ganz still. Und im siebenten Monat, da griff sie nach den Machandelbeeren und ass sie so begehrlich; und da wurde sie traurig und krank. Da ging der achte Monat hin und sie rief ihren Mann und weinte und sagte: "Wenn ich sterbe, so begrabe mich unter dem Machandelboom." Da wurde sie ganz getrost und freute sich, bis der neunte Monat vorbei war: da kriegte sie ein Kind so weiss wie der Schnee und so rot wie Blut, und als sie das sah, da freute sie sich so, dass sie starb.

Da begrub ihr Mann sie unter dem Machandelboom und er fing an so sehr zu weinen; eine Zeitlang dauerte das, dann flossen die Tränen schon sachter und als er noch etwas geweint hatte, da hörte er auf und dann nahm er sich wieder eine Frau.

Mit der zweiten Frau hatte er eine Tochter, das Kind aber von der ersten Frau war ein kleiner Sohn und war so rot wie Blut und so weiss wie Schnee. Wenn die Frau ihre Tochter so ansah, so hatte sie sie sehr lieb; aber dann sah sie den kleinen Jungen an und das ging ihr so durchs Herz und es dünkte sie als stünde er ihr überall im Wege und sie dachte dann immer wie sie ihrer Tochter all das Vermögen zuwenden wollte und der Böse gab es ihr ein, dass sie dem kleinen Jungen ganz gram wurde und sie stieß ihn aus einer Ecke in die andere und puffte ihn hier und knuffte ihn dort, so dass das arme Kind immer in Angst war. Wenn er dann aus der Schule kam, so hatte er keinen Platz wo man ihn in Ruhe gelassen hätte.

Einmal war die Frau in die Kammer hoch gegangen; da kam die kleine Tochter auch herauf und sagte: "Mutter, gib mir einen Apfel." "Ja mein Kind" sagte die Frau und gab ihr einen schönen Apfel aus der Kiste.Die Kiste aber hatte einen grossen schweren Deckel mit einem grossen scharfen eisernen Schloss. "Mutter", sagte die kleine Tochter "soll der Bruder nicht auch einen haben?" Das verdross die Frau, doch sagte sie: "Ja wenn er aus der Schule kommt." Und als sie ihn vom Fenster aus gewahr wurde, so war das gerade, als ob der Böse in sie gefahren wäre und sie griff zu und nahm ihrer Tochter den Apfel wieder weg und sagte; "Du sollst ihn nicht eher haben als der Bruder." Da warf sie den Apfel in die Kiste und machte die Kiste zu. Da kam der kleine Junge in die Tür, da gab ihr der Böse ein, dass sie freundlich zu ihm sagte: "Mein Sohn, willst du einen Apfel haben?" und sah ihn so jähzornig an. "Mutter", sagte der kleine Junge "was siehst du so grässlich aus! Ja, gib mir einen Apfel!" "Da war ihr, als sollte sie ihm zureden. "Komm mit mir", sagte sie und machte den Deckel auf, "hol dir einen Apfel heraus!" Und als der kleine Junge sich hineinbückte, da riet ihr der Böse; bratsch! Schlug sie den Deckel zu, dass der Kopf flog und unter die roten Äpfel fiel. Da überlief sie die Angst, und sie dachte: "Könnt ich das von mir bringen!" Da ging sie hinunter in ihre Stube zu ihrer Kommode und holte aus der obersten Schublade ein weisses Tuch und setzt den Kopf wieder auf den Hals und band das Halstuch so um, dass man nichts sehen konnte und setzt ihn vor die Türe auf einen Stuhl und gab ihm den Apfel in die Hand.

Danach kam Marlenchen zu ihrer Mutter in die Küche. Die stand beim Feuer und hatte einen Topf mit heißem Wasser vor sich, den rührte sie immer um. "Mutter" sagte Marlenchen, "der Bruder sitzt vor der Türe und sieht ganz weiss aus und hat einen Apfel in der Hand. Ich hab ihn gebeten, er soll mir den Apfel geben, aber er antwortet mir nicht, das war mir ganz unheimlich." "Geh noch einmal hin", sagte die Mutter, "und wenn er dir nicht antwortet, dann gib ihm eins hinter die Ohren." Da ging Marlenchen hin und sagte: "Bruder, gib mir den Apfel!" Aber er schwieg still, da gab sie ihm eins hinter die Ohren. Da fiel der Kopf herunter, darüber erschrak sie und fing an zu weinen und zu schreien und lief zu ihrer Mutter und sagte: "Ach, Mutter, ich hab meinem Bruder den Kopf abgeschlagen" und weinte und weinte und wollte sich nicht beruhigen. "Marlenchen", sagte die Mutter, "was hast du getan! Aber schweig nur still, dass es kein Mensch merkt, das ist nun doch nicht zu ändern, wir wollen ihn in Sauer kochen." Da nahm die Mutter den kleinen Jungen und hackte ihn in Stücke, tat sie in den Topf und kochte ihn in Sauer. Marlenchen aber stand dabei und weinte und weinte, die Tränen fielen alle in den Topf und sie brauchten kein Salz.

Da kam der Vater nach Hause und setzte sich zu Tisch und sagte: "Wo ist denn mein Sohn?" Da trug die Mutter eine große, große Schüssel mit Schwarzsauer auf, und Marlenchen weinte und konnte sich nicht halten. Da sagte der Vater wieder: "Wo ist denn mein Sohn?" "Ach", sagte die Mutter "er ist über Land gegangen, zu den Verwandten seiner Mutter, er wollte dort eine Weile bleiben." "Was tut er denn dort? Er hat mir nicht mal Lebewohl gesagt!" "Oh, er wollte so gern hin und bat mich, ob er dort wohl sechs Wochen bleiben könnte, er ist ja gut aufgehoben dort." "Ach", sagte der Mann, "mir ist so recht traurig zumute, das ist nicht recht, er hätte mir doch Lebewohl sagen können." Damit fing er an zu essen und sagte: "Marlenchen, warum weinst du? Der Bruder wird schon wiederkommen." "Ach Frau", sagte er dann, "was schmeckt mir das Essen schön! Gib mir mehr!" Und je mehr er aß um so mehr wollte er haben und sagte: "Gebt mir mehr, ihr sollt nichts davon aufheben, das ist als ob das alles mein wäre." Und er aß und aß und die Knochen warf er alle unter den Tisch, bis er mit allem fertig war. Marlenchen aber ging hin zu ihrer Kommode und nahm aus der untersten Schublade ihr bestes seidenes Tuch und holte all die Beinchen und Knochen unter dem Tisch hervor und band sie in das seidene Tuch und trug sie vor die Tür und weinte blutige Tränen. Dort legte sie sie unter den Machandelbaum in das grüne Gras, und als sie sie dahin gelegt hatte, da war ihr auf einmal ganz leicht und sie weinte nicht mehr. Da fing der Machandelbaum an sich zu bewegen und die Zweige gingen immer so voneinander und zueinander, so recht, wie wenn sich einer von Herzen freut und die Hände zusammenschlägt. Dabei ging ein Nebel von dem Baum aus und mitten in dem Nebel, da brannte es wie Feuer und aus dem Feuer flog so ein schöner Vogel heraus, der sang so herrlich und flog hoch in die Luft und als er weg war, da war der Machandelbaum wie er vorher gewesen war und das Tuch mit den Knochen war weg. Marlenchen aber war so recht leicht und vergnügt zumute, so recht, als wenn ihr Bruder noch lebte. Da ging sie wieder ganz lustig nach Hause, setzte sich zu Tisch und aß. Der Vogel aber flog weg und setzte sich auf eines Goldschmieds Haus und fing an zu singen:

"Mein Mutter der mich schlacht,
mein Vater der mich aß,
mein Schwester das Marlenichen
sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legt’s unter den Machandelboom.
Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vugel bün ik!"

Der Goldschmied saß in seiner Werkstatt und machte eine goldene Kette, da hörte er den Vogel, der auf seinem Dach saß und sang und das dünkte ihn so schön. Da stand er auf und als er über die Türschwelle ging, da verlor er einen Pantoffel. Er ging aber so recht mitten auf die Strasse hin, mit nur einem Pantoffel und einer Socke, sein Schurzfell hatte er vor und in der einen Hand hatte er die goldene Kette und in der anderen die Zange und die Sonne schien so hell auf die Strasse. Da stellte er sich nun hin und sah den Vogel an. "Vogel", sagte er da, "wie schön kannst du singen! Sing mir das Stück noch mal!" "Nein", sagte der Vogel, "zweimal sing ich nicht umsonst. Gib mir die goldene Kette, so will ich es dir noch einmal singen." "Da hast du die goldene Kette,"sagte der Goldschmied, "nun sing mir das noch einmal!" Da kam der Vogel und nahm die goldene Kette in die rechte Kralle, setzte sich vor den Goldschmied hin und sang: "Mein Mutter die mich schlacht, mein Vater der mich aß, mein Schwester das Marlenichen, sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch, legt’s unter den Machandelboom. Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vugel bün ik!"

Da flog der Vogel fort zu einem Schuster und setzt sich auf sein Dach und sang: "Mein Mutter die mich schlacht, mein Vater der mich aß, mein Schwester das Marlenichen, sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch, legt’s unter den Machandelboom. Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vugel bün ik!"

Der Schuster hörte das und lief in Hemdsärmeln vor seine Tür und sah zu seinem Dach hinauf und musste die Hand vor die Augen halten, dass die Sonne ihn nicht blendete. "Vogel", sagte er, "was kannst du schön singen." Da rief er zur Tür hinein: "Frau, komm mal heraus, da ist ein Vogel, sieh doch den Vogel, der kann mal schön singen." Dann rief er noch seine Tochter und die Kinder und die Gesellen, die Lehrjungen und die Mägde, und sie kamen alle auf die Strasse und sahen den Vogel an, wie schön er war und er hatte so schöne rote und grüne Federn, und um den Hals war er wie lauter Gold, und die Augen blickten ihm wie Sterne im Kopf. "Vogel", sagte der Schuster, "nun sing mir das Stück noch einmal!" "Nein", sagte der Vogel, "zweimal sing ich nicht umsonst, du musst mir etwas schenken." "Frau", sagte der Mann, "geh auf den Boden, auf dem obersten Wandbrett, da stehen ein paar rote Schuh, die bring mal her!" Da ging die Frau hin und holte die Schuhe. "Da Vogel", sagte der Mann, "nun sing mir das Lied noch einmal!" Da kam der Vogel und nahm die Schuhe in die linke Kralle und flog wieder auf das Dach und sang:

"Mein Mutter die mich schlacht,
mein Vater der mich aß,
mein Schwester das Marlenichen
sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legt’s unter den Machandelboom.
Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vugel bün ik!"

Und als er ausgesungen hatte, da flog er weg.Die Kette hatte er in der rechten und die Schuhe in der linken Kralle und er flog weit weg, bis zu einer Mühle und die Mühle ging: Klippe klappe, klippe klappe, klippe klappe. Und in der Mühle saßen zwanzig Mühlknappen, die klopften einen Stein und hackten: Hick hack, hick hack, hick hack; und die Mühle ging klippe klappe, klippe klappe, klippe klappe. Da setzte sich der Vogel auf einen Lindenbaum, der vor der Mühle stand und sang: "Mein Mutter die mich schlacht", da hörte einer auf; "mein Vater der mich aß", da hörten noch zwei auf und hörten zu; "mein Schwester das Marlenichen" da hörten wieder vier auf; "sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch", nun hackten nur acht; "legt’s unter", nun nur noch fünf; "den Machandelboom" – nun nur noch einer; "Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vugel bün ik!"
Da hörte der letzte auch auf und er hatte gerade noch den Schluss gehört. "Vogel", sagte er, "was singst du schön!" Lass mich das auch hören, sing mir das noch einmal!" "Nein", sagte der Vogel, "zweimal sing ich nicht umsonst; gib mir den Mühlenstein, so will ich das noch einmal singen." "Ja", sagte der Mühlknappe, "wenn er mir allein gehörte, so solltest du ihn haben." "Ja", sagten die anderen, "wenn er noch einmal singt, so soll er ihn haben." Da kam der Vogel heran und die Müller fassten alle zwanzig mit Bäumen an und hoben den Stein auf, "hu uh uhp, hu uh uhp, hu uh uhp!" Da steckte der Vogel den Hals durch das Loch und nahm ihn um wie einen Kragen und flog wieder auf den Baum und sang:

"Mein Mutter die mich schlacht,
mein Vater der mich aß,
mein Schwester das Marlenichen
sucht alle meine Benichen,
bindt sie in ein seiden Tuch,
legt’s unter den Machandelboom.
Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vugel bün ik!"

Und als er das ausgesungen hatte, da tat er die Flügel auseinander und hatte in der rechten Kralle die Kette und in der linken die Schuhe und um den Hals den Mühlenstein und flog weit weg zu seines Vaters Haus.

In der Stube sass der Vater, die Mutter und Marlenchen bei Tisch und der Vater sagte: "Ach, was wird mir so leicht, mir ist so recht gut zumute." "Nein", sagte die Mutter, "mir ist so recht angst, so recht, als wenn ein schweres Gewitter käme." Marlenchen aber saß und weinte und weinte. Da kam der Vogel angeflogen und als er sich auf das Dach setzte, da sagte der Vater: "Ach, mir ist so recht freudig, und die Sonne scheint so schön, mir ist ganz, als sollte ich einen alten Bekannten wiedersehen!" "Nein", sagte die Frau, "mir ist angst, die Zähne klappern mir und mir ist, als hätte ich Feuer in den Adern." Und sie riss sich ihr Kleid auf um Luft zu kriegen. Aber Marlenchen saß in der Ecke und weinte und hatte ihre Schürze vor den Augen und weinte die Schürze ganz und gar nass. Da setzte sich der Vogel auf den Machandelboom und sang: "Meine Mutter die mich schlacht" - Da hielt sich die Mutter die Ohren zu und kniff die Augen zu und wollte nicht sehen und hören, aber es brauste ihr in den Ohren wie der allerstärkste Sturm und die Augen brannten und zuckten ihr wie Blitze. "Mein Vater der mich aß" - "Ach Mutter", sagte der Mann, "da ist ein schöner Vogel, der singt so herrlich und die Sonne scheint so warm und das riecht wie lauter Zinnamom." (Zimt) "Mein Schwester das Marlenichen" - Da legte Marlenchen den Kopf auf die Knie und weinte in einem fort. Der Mann aber sagte: "Ich gehe hinaus; ich muss den Vogel in der Nähe sehen." "Ach, geh nicht", sagte die Frau, "mir ist, als bebte das ganze Haus und stünde in Flammen." Aber der Mann ging hinaus und sah sich den Vogel an - "sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch, legt’s unter den Machandelboom. Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vugel bün ik!"

Damit liess der Vogel die goldene Kette fallen und sie fiel dem Mann gerade um den Hals, so richtig herum, dass sie ihm ganz wunderschön passte. Da ging er herein und sagte: "Sieh, was ist das für ein schöner Vogel, hat mir eine so schöne goldene Kette geschenkt und sieht so schön aus." Der Frau aber war so angst, dass sie lang in die Stube hinfiel und ihr die Haube vom Kopf fiel. Da sang der Vogel wieder: "Mein Mutter die mich schlacht" - "Ach, dass ich tausend Klafter unter der Erde wäre, dass ich das nicht zu hören brauchte!" "Mein Vater der mich aß" - Da fiel die Frau wie tot nieder. "Mein Schwester das Marlenichen" - "Ach", sagte Marlenchen, "ich will doch auch hinausgehen und sehn, ob mir der Vogel etwas schenkt?" Da ging sie hinaus. "Sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch" - Da warf er ihr die Schuhe herunter. "Legt’s unter den Machandelboom. Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vugel bün ik!"

Da war Marlenchen so leicht und fröhlich. Sie zog sich die neuen roten Schuhe an und tanzte und sprang herein. "Ach", sagte sie, "mir war so traurig als ich hinausging und nun ist mir so leicht. Das ist mal ein herrlicher Vogel, hat mir ein Paar rote Schuhe geschenkt!" "Nein", rief die Frau und sprang auf und die Haare standen ihr zu Berg wie Feuerflammen, "mir ist als sollte die Welt untergehen; ich will auch hinaus, damit mir leichter wird." Und als sie aus der Tür kam, bratsch! Warf ihr der Vogel den Mühlstein auf den Kopf, dass sie ganz zerquetscht wurde. Der Vater und Marlenchen hörten das und gingen hinaus. Da ging ein Dampf und Flammen und Feuer aus von der Stätte, und als das vorbei war, da stand der kleine Bruder da und er nahm seinen Vater und Marlenchen bei der Hand und waren alle drei so recht vergnügt und gingen ins Haus, setzten sich an den Tisch und aßen.


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#2

RE: Nr.47 von dem Machandelboom

in Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 13.03.2006 07:50
von Elfe (gelöscht)
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uiui das war ja auch ein heftiges märchen grausam find ich aber der schluss da ist der junge ja wieder da gewesen
zwilli hast du das märche da geschrieben


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#3

RE: Nr.47 von dem Machandelboom

in Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 13.03.2006 11:54
von Gem | 1.284 Beiträge | 1284 Punkte

nee, ist aus der Märchensammlung der Brüder Grimm. Eingesendet hat denen das der Maler Ótto Runge, in plattdeutsch, aber das verstehen ja nicht alle, deshalb hier in "hochdeutsch".
hier über den Maler eine schöne Seite


Ich stelle mir gerade einige Märchen zusammen, in denen es um Geschwisterliebe geht.


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#4

RE: Nr.47 von dem Machandelboom

in Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 15.03.2006 10:01
von elfenlicht b | 608 Beiträge | 608 Punkte

oh die zeichnunge sind toll von dem


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#5

RE: Nr.47 von dem Machandelboom

in Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 22.05.2007 10:02
von Gemini | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte

Vom Machandelbaum
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie


Vom Machandelbaum ist ein Märchen (Typ 720 nach Aarne und Thompson), das in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm an Stelle 47 auf Plattdeutsch enthalten ist (KHM 47). Der Maler Philipp Otto Runge schrieb eine solche Mundartfassung des Märchens nieder und schickte sie an die Brüder Grimm.


Inhalt

Ein Mann und seine Frau leben in einem Haus, in dessen Hof sich ein Machandelbaum befindet. Die Beiden sind kinderlos; als die Frau eines Tages unter dem Baum einen Apfel schält, schneidet sie sich und das Blut tropft in den Schnee. Da wünscht sie sich von ganzem Herzen einen Sohn, der weiß wie Schnee und rot wie Blut sein soll. Nach einigen Monaten wird die Frau krank, bekommt aber tatsächlich einen Sohn, wie sie ihn sich gewünscht hat. Sie stirbt und ihr Mann begräbt sie unter dem Baum.

Einige Zeit später heiratet der Mann wieder und bekommt mit seiner neuen Frau eine Tochter namens Marlenichen. Die Stiefmutter ist auf den Sohn eifersüchtig und will, dass der Besitz einmal ihr bzw. ihrer Tochter gehören soll. Sie beschließt, ihn zu töten, was sie dann auch auf brutale Weise tut: Sie fragt ihn, ob er einen Apfel haben möchte und als er sich in eine Kiste beugt, um sich einen heraus zu holen, klappt die Stiefmutter den Deckel zu und schlägt dem Jungen den Kopf ab. Nun will sie den Mord vertuschen und setzt dem Jungen den Kopf wieder auf, so dass er von selbst hebt, gibt ihm den Apfel in die Hand und setzt ihn vor die Tür. Bald kommt das Marlenichen zur Mutter und berichtet ihr, sie habe den Bruder nach seinem Apfel gefragt, doch der habe nicht geantwortet. Die Mutter sagt ihr, wenn er wieder nicht antworte, solle sie ihm eine Ohrfeige geben. Da der Bruder verständlicherweise abermals keine Antwort erklingen lässt, gibt Marlenichen ihm die Ohrfeige, was zur Folge hat, dass der Kopf herunterfällt. Die Schwester fängt an zu weinen; die Mutter macht dem Mädchen vor, sie trage die Schuld am Tod des Bruders und beschließt, ihn klein zu hacken und dem Vater als Abendessen vorzusetzen.

Nachdem der Vater, dem gesagt wurde, sein Sohn sei bei seiner Großmutter, zu ende gegessen hat, räumt seine Tochter die Knochen ihres Bruders in einen Sack und legt sie unter den Machandelbaum. Aus den Knochen ersteigt ein Vogel, der davon fliegt; die Knochen sind verschwunden. Der Vogel fliegt zu einem Goldschmied, von dem er eine Kette erhält, einem Schuster, der ihm rote Schuhe schenkt und einer Mühle, wo er einen Mühlstein bekommt, den er sich um den Hals hängt; allen singt er ein Lied:

Mein Mutter, der mich schlacht',

mein Vater, der mich aß,

mein Schwester, der Marlenichen,

sucht alle meine Benichen,

bind't sie in ein seiden Tuch,

legt's unter den Machandelbaum.

Kywitt, kywitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!

Am Ende fliegt er zum Haus seines Vaters und setzt sich auf den Machandelbaum, wo er abermals singt. Als sein Vater heraustritt, um ihn singen zu hören, lässt er ihm die goldene Kette herunterfallen, ihm folg Marlenichen, der er die Schuhe schenkt; als die Stiefmutter heraus kommt, fällt der Mühlstein auf sie herab und sie ist tot. Darauf hin verwandelt sich der Vogel zurück in den Jungen und Vater, Sohn und Tochter gehen zu Tisch.

Kritik

Dieses Märchen ist sehr grausam und zählt zu den brutalsten und schwärzesten Märchen, die die Gebrüder Grimm gesammelt haben. Die Brutalität zeigt sich nicht nur in der Art und Weise, wie der Bruder getötet wird und dass dies durch seine Mutter geschieht, sondern auch dadurch, dass sie den toten Sohn dem ahnungslosen Vater vorsetzt, ihn also unwillentlich zum Kannibalen macht; Kannibalismus gilt in unserer Gesellschaft als eines der schwersten und widerlichsten Verbrechen. Zudem wird psychische Gewalt auf die Tochter ausgeübt, da dieser vermittelt wird, sie habe ihren Bruder umgebracht.

Typisierung und verwandte Märchen

Vom Machandelbaum gehört zu den Stiefmuttermärchen wie Schneewittchen oder Aschenputtel, es ist auch verwandt mit Geschwistermärchen wie Brüderchen und Schwesterchen, wo die Schwester den Bruder verliert und erlöst.

Sonstiges

Der Maler Philipp Otto Runge schrieb eine norddeutsche Mundartfassung des Märchens nieder und schickte sie an die Brüder Grimm. Johann Wolfgang von Goethe verwendet das Märchen vom Machandelbaum am Ende von Faust I; Gretchen singt das Lied des Vogels in etwas abgewandelter Form, als es im Kerker sitzt.

Meine Mutter, die Hur
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm
Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein
An einem kühlen Ort;
Da ward ich ein schönes Waldvögelein;
Fliege fort, fliege fort!


Liebe Grüße
Bettina

Rezitante und Musäusfan-ny
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#6

RE: Nr.47 von dem Machandelboom

in Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 25.05.2007 08:00
von Gemini | 11.637 Beiträge | 12100 Punkte

Ich habe hier eine interessante Homepage, die diesem Märchen gewidmet wurde. Da dummerweise solche hochinteressanten Seiten immer wieder aus dem Netz verschwinden, kopiere ich Euch das Wissenswerte heraus, die ganze Seite findet man:


http://machandelboom.de.ki/


Von dem Machandelboom

von Hans Zimmermann , Görlitz 2002
Mandel-Machandel-Wacholder-wachend
die "schoqed"-Homonymie in Jeremias1,11 f


Sind Märchen gesunkenes Kulturgut, Erzählungen, die von der literarischen Ebene der Novellenautoren, Epensänger und Traditionsschriftgelehrten abgesunken sind auf das mündliche Niveau von Ammen, die ihre Milchkinder und Zöglinge unterhalten, trösten und in den Schlaf singen wollen? Natürlich sind sie das: Wenn die klugen Stoffe absinken, werden sie ins Naive versenkt; und wenn sie ins Naive versenkt werden, dann versenkt sich das kulturtragende und kulturgetragene Gemüt in die Reinheit und Schlichtheit, die mit der Symmetrie der geschlossenen Erzählung und der Knappheit ihrer Sprache nur noch den Weisheitskern übrigbehält, alles Überflüssige abstreift, die Reflexionsschnörkel des Gebildeten und das Gelächter des Eingebildeten vergißt und in die Ehrlichkeit des Tiefschlafes heimkehrt. So tief kann diese "Versenkung" sein, daß sie die Geheimnisse der Neugeburt des Lebens aus dem Tod auslotet: Frau Holle beherrscht das Totenreich, sie ist die alte Hêl der Unterwelt, wo die Brote des irdischen Lebens aus dem Ofen geholt werden und die Früchte des Erdenwandels vom Baum geschüttelt werden müssen; oder: Schneewittchen erleidet die tödlichen Folgen des Genusses der Frucht vom Baum der Erkenntnis; und: Aschenputtel ist die wahre Braut in der königlichen Hochzeit des "Sohnes": "Selig, die zum Hochzeitsmahl des Lammes gerufen sind" (Apokalypse 19,9).
"Aus dem Munde von Kindern und Säuglingen gründetest du Macht" (Psalm 8,3) – Wenn Märchen "für Kinder" bestimmt sind, für deren seelisches Abendmahl und für ihren von Frieden gesättigten Schlaf, so richten sie sich doch wohl überhaupt an das "Kind im Manne", in jedem Menschen, nähren es in Schlafenstiefen, wecken dort sein verborgenes Wesen, seine unbekannte, embryonal verhüllte Zu-Kunft.
Im Grunde, im tiefsten "Versenkungs"-Grund, im innigst hingegebenen Herzensgrund der menschlichen Seele weckt sich dieses Kind aber selbst: Als der "Sohn" verkündet es selbst sein Evangelium, singt sein biographisches Lied und erleuchtet, begeistert, erfüllt wie ein flammender Vogel in übersinnlicher Schönheit den ganzen Menschen von innen her. So in diesem Märchen:

Die für ein Märchen ungewöhnliche (er-zählend aktualisierte) Zeitangabe weist zurück auf den Beginn des Christentums, auf Inkarnation, Tod und Auferstehung des "Sohnes".
Lange Kinderlosigkeit als innerseelisch-mystische Entsagungsphase, schließlich Verheißung und Geburt des heiligen Sohnes: vor allem beim Vater aller "Glaubenden" (Römerbrief 4,16) Abraham, Genesis 15,1-6; 16,7-16 (Ismael); 17,19; 18,10 ff; dann bei den Eltern der drei großen "Nazoraioi" (gemäß Numeri 6) Samson ("Schimschon" von "schamasch" – "Sonne", Richter 13), Samuel (1.Samuel 1) und Johannes (Lukas 1,5 ff).
Der Erkenntnisbaum wird im Abendland in der Regel als "Apfelbaum" imaginiert (im Orient als Feigenbaum); hier nun der heilige Wacholder der Germanen mit seiner Würze, Würde und Heilkraft, gemäß der Differenzierung von Erkenntnisbaum und Lebensbaum: Die "Äpfel" vom Baum der Erkenntnis fallen aber offenbar nicht weit von dessen (Lebensbaum-) Stamm; "bêde: wurzeln unde rîs" des Paradieses: so erscheint der Grâl bei Wolfram.

Mit der Verletzung der Frau beim Schälen der Erkenntnisfrucht und ihrem Wunschseufzer – vgl. Parzival 282,20 ff: die "drei Blutstropfen im Schnee"; natürlich auch den Anfang von "Schneewittchen" – beginnt eine neunfach gestufte Sündenfall- (Erkenntnis-) und Lebens-Entwicklung, in der Empfindungswelt und Schwangerschaft so ineinandergreifen, wie die Singular-Rede der Genesis vom Baum "in der Mitte des Gartens" es voraussetzt.
Vom Winter bis zum Herbst entwickelt sich demzufolge mit dem Baum die Leibesfrucht der Baumbetrachterin – die mit dem Baum aufblühende, mitreifende, genossene Erkenntnis, bêde: wurzeln unde rîs, der Logos-Sprößling, der "kleine Sohn" – wie auch die Hingabe der Frau (Ischah), die alle Gefühlsfarben durchwandelt. Diese drei Zopfstränge sind in den Monatsschritten des Jahreskreislaufs empfindsam sympathetisch ineinander verflochten – geradezu als imaginative Ausgestaltung der Sündenfallstelle in Genesis 3, wo die "Ischah" eher durch den Baum selbst als durch die Klugheit der Schlange zum Fruchtgenuß der Erkenntnis verführt wird:
"Und es sah die Frau (Ischah),
daß gut der Baum zu essen,
und daß eine Lust er den Augen,
und anreizend der Baum, aufzuwachen,
und sie nahm von seiner Frucht
und sie aß."

Es ist der Sündenfall, in aller Unschuld und Ursprünglichkeit des begeisterten Empfindens, in aller Heiligkeit der dadurch zur Geburt gebrachten Erkenntnis: So ist der Tod der frommen "Frau", der "Lebensmutter" (Chawwah), die notwendige Folge. Erkennen, Gedankengebären ist ein fortwährendes Sterben im Genuß der Bewußtseinsfrucht: Die Wachheit, die Ichbewußtheit löst das Individuum aus der natura naturans, der pflanzlichen Schlafenstiefe und dem tierischen Traumgewoge heraus, objektiviert die Natur vor dem subjektiven Blick, tötet sie zu Dingen ab und bewegt sich zugleich in der Transparenz der Gedankensubstanz, im lichten Totenreich des Begriffs. Hier schon wird der "Sohn" aus dem Tod hervorgeboren, aber in der unschuldig-schuldig "sündenfälligen", der Geburt des Kindes opfernd hingegebenen Freude der "Frau" ist seine Geburt doch eine reine Lebens-Geburt. Er ist der "Geborene" schlechthin, der "kleine Sohn", ansonsten namenlos.

Er ist das innerste, innigste Aufkeimen der Erkenntnis in einer sich aufopfernd hingebenden Seele, zutiefst intim, kaum nennbar, dem Verstand und der abgestorbenen Seelennatur, der "zweiten Frau" des Vaters, kaum erkennbar: der im Menschen, in der Verantwortungswurzel des Ich keimhaft angelegte geistige Mensch, der "noch nicht erschienen ist", der wir "einst sein werden" (1.Johannesbrief 3,2), Christus in uns – hier noch als "Jesus patiblis" (Gottesknecht gemäß Jesaja 53,7). Und dieses verkannte, in Namenlosigkeit verborgene, vom unruhig verzettelten Sinnenmenschen hin- und hergeschubste "arme Kind" wird nun durch die abstrakten Kopf-Lehren der "Schule", deren Wissensvermittlung nicht zum Herzen dringt – "geköpft". Denn die Passion des "Sohnes" gipfelt in der "Schädelstätte".
Das sarkastisch-knapp geschilderte Köpfen des "kleinen Jungen" erfolgt nicht in der Schule selbst, wohl aber in der Verarbeitung der Kenntnisse nach der Heimkehr, in der Falle (skandalon): beim trügerischen Angebot, die Frucht – hier natürlich "Apfel" – der Erkenntnis zu verzehren. Als deren Arsenal dient die Kiste mit dem "scharfen eisernen Schloß" – einerseits die Verschlossenheit der unvermittelten sinnlichen Erkenntnis-"Stücke" im Gedächtnis, andererseits die abstrahierende Schlußfähigkeit in der juristisch-definitorisch zugeschärften Unterscheidung der Begriffe.
Die Köpfung des "Sohnes" wird dann mit schönem Schein, mit Kunst, mit einem kostbaren Tuch "aus dem oberen Schubfach" der Truhe der Stiefmutter oberflächlich kaschiert; die innerleiblichen Lebensprozesse (unten in der "Küche", in der Stoffwechsel-Chemiestube des Hauses) setzen sich fort (Umrühren des heißen Wassers) und bereiten die weitere Verarbeitung und den innerleiblichen Verzehr des Geopferten vor (in der Alchemie von Herdfeuer, Wassertopf – gegen Exodus 12,9!, aber die "richtige" Verwandlung durch Feuer statt Wasser folgt noch – und Tränensalz).
"Marlenchen", verkürzt eingedeutschte Namensform von "Maria Magdalena", ist in ihrem Verhalten hier genauso charakterisiert wie in den Evangelien: Ständig weint sie, das ist ihr Wesen, ihre Herzensbeschäftigung bereits dort: Mit Tränen wäscht sie Jesus die Füße, weinend kommt sie ihm nach dem Tode des Lazarus entgegen, weinend sucht sie am Ostermorgen den Leichnam des "Herrn" und sieht durch ihren Tränenschleier in dem Auferstandenen den "Gärtner" des Gartens.
Marlenchen muß nun hier durch ihr Ohrfeigen des getöteten Bruders als "die Sünderin" erscheinen, aber sie ist in der leibes-chemischen Arbeit der Seelenkräfte in der "Küche" Gegenpol zu der angsterfüllten, engherzigen Mutter: Diese schiebt ihr die Schuld der Gefühls-Verstandes-Trennung zu, macht sie zur "Sünderin" und versucht, ihre Tochter in die Verdrängung und in die alles kaschierende Täuschung hineinzuziehen; Marlenchen dagegen ist ganz Empfindung und Schuldbewußtsein.
Die Schlachtung des "Sohnes" durch die (Stief-) Mutter erinnert an den Rachakt der Medea bei Euripides und die götterversuchende Opferung des Pelops durch Tantalos, wohl auch die (durch ein Lamm ersetzte) des Isaak durch Abraham. Aber hier ist es eher der ins verstandesgeleitete Wachbewußtsein gefallene, abgestorbene und individuell privatisierte, verengte Geist des Menschen, in dem das Logoskind zerstückelt (1.Korinther 13,12) und zur Suppe "gekocht" wird.

Die abtötenden Auswirkungen des wachen Tagesbewußtseins auf den inneren Menschen machen eine Regeneration, eine kleine Wiedergeburt durch den Schlaf erforderlich. Es ist der leibliche Erfahrungsträger, der väterliche Erzeuger des (in Empfindungen und Gedanken zerstückelten) Geistsprößlings, der als letzter am Abend in sein Haus heimkehrt und sich nun mit dem Nachtmahl das "Seinige" wieder einverleibt: Fleisch und Blut des geopferten Sohnes – aber nicht die Knochen (vgl. Exodus 12,46 und den "Schamanen"-Psalm 22), die den dichteren Todesdurchgang durchmachen. Prototyp dieses Abend- bzw. Nachtmahls ist das "letzte Abendmahl" der Evangelien – (Mt 26,26-28; Mk 14,22-24; Lk 22,19-20) – und das "Brot"-Kapitel bei Johannes; dann auch Parzivals Gralsnächte bei Chrêtien und Wolfram, vor allem aber in Wagners Parsifal. Von der alchymisch-leiblichen Seite der regenerativen Verwandlungsprozesse her ist es die Köpfung und Umarbeitung der "Könige"in der Chymischen Hochzeit des Christian Rosencreutz, die besondere Ausgestaltungen dieses Motivs bietet. Der aus dem "Saft" der Könige erzeugte Vogel wird dort wiederum enthauptet, und sein Blut zum neuen Königspaar weiterverwandelt.

Die eigentliche Verwandlung dieses Opferlamms (vgl. das Passah-Nachtmahl gemäß Exodus 12,10) ist dann aber tiefgreifender als die Alchemie der "Küche" und der Verzehr der "Suppe", auch wenn dadurch die "Knochen" des Sohnes von der Fleisch- und Blutgebundenheit des von Empfindungen und Neigungen durchtränkten Leibes befreit und bereinigt werden. Die kostbaren Weine und Fleischspeisen, die in den Parzivâl-Epen aus dem Grâl hervorgehen, nähren die zum Nachtmahl Geladenen, aber der Grâl selbst (dem jungen Parzivâl zunächst als Lebensbaum sichtbar) erstrahlt oberhalb der Tische in einer unverzehrlichen klaren Kristallsubstanz und bildet so gewissermaßen das kaleidoskopische Zentral-Juwel, das "Mani-Padme" (Kleinod in der Lotosblüte), die unversiegliche Jungbrunnenquelle der "nicht aus dem Blut, noch aus der Wollust des Fleisches, noch aus der Wollust des Mannes, sondern aus Gott Geborenen" (Johannes 1,3). Denn um eine Neugeburt aus dem Tode geht es nun, wenngleich diese in das Abendmahl des heimgekehrten Vaters und seine nächtliche Regenerations-Alchemie zunächst eingehüllt erscheint wie der Tiefschlaf in den Traum.
Die Sünderin wandelt sich durch ihre "blutigen" Tränen zur Büßerin, die Büßerin zur Priesterin der Totensalbung und der Einbalsamierung des Leichnams (in den Evangelien wie auch hier).

Als Grabtuch dient ein Tuch aus der untersten bescheiden-intimen Schublade ihrer Kommode, Gegensatz zu dem "Halstuch"des Geköpften aus dem obersten Fach der Truhe ihrer Mutter.
Grabstätte ist das Grab der ersten Frau unter dem Wacholderbaum, in der "Lebensbaum"-Wurzel: der todestiefe "Versenkungsgrund" der bei der Geburt "an Freude" verstorbenen Mutter des "kleinen Sohnes"; er wird gewissermaßen in ihren Schoß zurückgelegt zur Wiedergeburt – "kann ein Mensch wiederum in seiner Mutter Schoß eingehen und geboren werden?" (Johannes 3,4)
Die Gleichörtlichkeit von Sündenfall, Begräbnisstätte der Ureltern (also auch Evas) und Grab des Gottessohnes, somit auch die identische Mitte von Lebensbaum, Todesdurchgang und Todesüberwindung bildet bereits in der "Schatzhöhle" die innere Achse des insgesamt menschengestaltigen Welt-Zeit-Raums. Unter dem Wacholder liegt ja die Mutter begraben, wo nun die weinende Schwester die zusammen-gesuchten Gebeine des Jungen begräbt.


Und nun wird alles ganz anders, inhaltlich, in der Weiträumigkeit des Geschehens, wie auch im Erzählton des Märchens.
Sechs Wochen sei der Junge angeblich auf Verwandtenbesuch – das ist der Zeitraum von Passion bis Himmelfahrt (Apostelgeschichte 1,3), die Zeit, in der die Auferstehung des Sohnes das Verstehen, die Gemütskräfte und die Sinne der Jünger "hinter verschlossenen Türen" durchdringt, wo der Auferstandene ihnen die Schrift auslegt, wo er ihnen zu Gesicht und Gehör, ja sogar zur Tastempfindung kommt, bis am Ende diese Erfülltheit von innen her das Wahrnehmen der Jünger überschreitet und der Auferstandene sich in die "Wolken des Himmels" aufzulösen scheint, aus denen er als der "Menschensohn" der Apokalypse wiederkehren soll. Zehn Tage später bricht mit Sturmbrausen, Feuerflammen und allverständlicher Redegabe der Geist in den Jüngern durch.
Wie nun erlebt der Redebegabte dieses Märchens den Auferstandenen?
Im Zweitausendjahre-Rückblick liegen nicht nur Passion und Ostern sondern auch der pfingstliche Feuer-Sprachen-Sturm des Geistes integrativ-dicht beieinander und durchdringen sich zu einem geradezu "pfingstlichen" Auferstehen: Der Sohn erscheint in der Vogelgestalt des Heiligen Geistes, aber nicht als Taube herabschwebend, auch nicht als herabsinkende Feuerflamme, sondern als Phönix feurig aufsteigend.
Der "Phönix" ist der Vogel, der sich selbst in einem Todesdurchgang ("alle 500 Jahre" sagt Pythagoras in den "Metamorphosen" des Ovid) neu erzeugt; er sammelt Weihrauch und Balsam, verbrennt mit diesen Essenzen der religiösen Hingabe und steigt in deren Duft aus den Flammen kindlich-frisch empor. In Wolframs "Parzival" heißt es vom Gral: "von des steines craft der fênîs verbrinnet, daz er ze aschen wirt: diu asche im aber leben birt."
Wacholder gibt mit den ätherischen Ölen seiner Zweige und Früchte den "Weihrauch" der Völker diesseits der Alpen; wir erinnern uns bei der Schilderung der Baumverwandlung auch an den brennenden Dornbusch Moses, in dem ihm der "Ich-bin-der-Ich-Bin" erschien.
Die ansonsten in Farbe und Form eher düster und verschlossen wirkende Säule des alten heiligen Wacholders entfaltet nun neuartig ihre Äste und Zweige, wie ein Mensch seine Arme morgendlich reckt und streckt; der Wolkenduft des Himmels geht von dem Baum aus, darin leuchtet es feuergleich auf, und dieses Erhellen des Baumes erscheint menschlich, als ein Ausdruck der Freude, und zugleich erfreulich: im sympathetischen wechselseitigen Ineinander der gestischen Baumes-"Entwicklung" und der büßenden Betrachterin, wie bereits oben bei der Schwangerschaft der "Frau" mit dem Logos-Kind. Die unter dem Baum begrabene Mutter trägt ihren Sohn erneut aus, nun nicht in den neun Vegetations-Monaten des Jahreskreises, sondern in einer einzigen Osternacht.
Der Phönix ist wunderschön und singt bezaubernd (nach dem Urteil aller,die ihn nun hören); seine Farben sind Rot (wie Blut), Grün (wie die frische Frühlingsnatur) und Gold (entsprechend der Himmelfahrt, die diesen österlichen Vogel bereits verklärt, vergleiche das Auferstehungsbild des Isenheimer Altars): ein Astralwesen mit Sternen-Augen; hinter ihm leuchtet blendend hell die Sonne auf (s. Psalm 19,6 und Markus 16,2).
Die Handlung wird nun mit dem Phönix fortgeführt: Er ist nicht mehr bloßes Opferobjekt der geistigen, seelischen und innerleiblichen Kräfte um ihn, die ihn "herumschubsten", verarbeiteten und verzehrten, sondern ichhafter Handlungsträger, lebendige Handlungsquelle, tätiges Subjekt in freier Entfaltung seiner Schwingen. Darin ist der eigentliche Schlüssel zum Verständnis der Auferstehung von den Toten zu finden: Stehen hinter den Dingen Vorgänge und hinter Vorgängen tätige Kräfte, so ist die Handlungssubstanz der tätigen Kräfte hinter den chemisch-biologischen Lebensvorgängen und deren zu Dingen abgestorbenen Außenaspekten die eigentliche Wirklichkeit jener dinglichen, zuständlichen und bewegten Erscheinungen. Tätigkeit läßt den Geist durchbrechen, der in Dinglichkeit, Zuständlichkeit und passiven Bewegungen verborgen liegt; denn er ist die Quelle aller aktiver Bewegungen und konkretisiert sich in der Handlungsverantwortung des freien Willens, des schöpferischen Ich.
Und dieser Phönix singt nun immer wieder sein Evangelium von der Verwandlung, in der er eben besteht, seine "Lebensschrift"-Chiffre ("Biographie"): Sieben Verse, in denen Opfer, Abendmahl und Begräbnis Erinnerungen des vom Tode erweckten "Vogels" sind, der nun staunend seine Schönheit verkündet.
In drei Phasen stuft sich dann die Entwicklung des tätigen Menschen, des "homo faber", die geschichtlich-gesellschaftliche Arbeits-Ordnung bis zum Erzähler des Märchens hin, der gemäß den Einleitungsworten auf die fast zweitausend Jahre der christlichen Ära zurückblickt:
Zuerst setzt der Vogel sich auf das Dach eines Goldschmieds. In der goldenen Kette, die er sich mit seinem Gesang erkauft, konzentriert und symbolisiert sich die alte, würdevolle Weisheit, an der (gemäß Homer, Ilias 8,19) die Erde vom Himmel (ab-)hängt; die Kette, deren Ringe der Schmied gerade mit seiner Zange zusammengeschlossen hat, bringt die Vermittlungs-, Traditions- und Schlußketten der Kultur-Selbstverständigung ins Bild.
Dann auf das Dach eines Schusters, der mehr die Gefühls- und Gemütslebendigkeit des Menschen darstellt; vor der blendenden Sonne über dem Dach muß er sich mit der Hand schützen, er verträgt das Erkenntnislicht nicht unmittelbar, aber er holt in seiner Begeisterung gleich seine ganze Familie und seine Mitarbeiter "aus dem Häuschen", damit sie den schönen Vogel mit ihm bestaunen. Bei ihm tauscht der Phönix ein Paar roter Schuhe für seine Gesangswiederholung ein.

Zum dritten fliegt der Vogel zu einer Manufaktur, in der zwanzig junge "Müller" einen Stein behauen, widerständige Willenskraft nach der edlen Weisheit des alten Goldschmieds und dem Gefühlsüberschwang des familiären Schusters. Das Evangelium des Vogels dringt nur schrittweise durch deren eigene Arbeitsrhythmik und Anstrengung hindurch. Nach dem einen Goldschmied und dem Familienbetrieb des Schusters nun die große Manufaktur-Belegschaft, in der alle mit anpacken müssen, um den für das Lied eingehandelten Mühlstein auf den Hals des Vogels zu hieven.

und die Sonne schien so hell auf die Straße

Die Tätigkeits-Substanzialität des feuergeborenen Geistwesens hat in der arbeitenden Ausgestaltung der Materien, Stoffe und Widerstände ihre Entsprechung gefunden: Der "Sohn" wirkt in der Arbeit der Menschen. Die Tätigkeiten des Goldschmieds, des Schusters und der Steine behauenden Müllerburschen repräsentieren zugleich Denken, Fühlen und Wollen in der Erarbeitung von leiblich konzentrierter Erfahrungs-Weisheit, seelenbewegender Freude und geistig initiierter Widerstandbewältigung.
Goldkette, Tanzschuhe und Mühlstein hat der Sänger mit dem jeweils zweiten Vorsingen seines Liedes "bezahlt", Leistung gegen Leistung, Werk für Werk, Wert für Wert, aber ohne krämerische Enge: Zur Erweckung gab es zuvor immer eine Strophe gratis: Gnade kommt vor Werklohn; aber die von den Arbeitern, die durch die Gnadenstrophe aufgeweckt worden sind, bewußt geforderte Wiederholungs-Leistung des Sängers ist ihres Lohnes wert: Die erweckten Zuhörer opfern ihr Werkstück dem Vogel, der sie an die innermenschlichen Leibes-, Seelen- und Geisteskräfte, die in dem Vater, Marlenchen und der zweiten Frau personifiziert sind, weiterreicht.
Denn nun folgt mit dem jüngsten Gericht, mit der Ernte und Scheidung der Lebensfrüchte, mit der großen "Krisis" des Endes die apokalyptische Wiederkehr des Menschensohnes:
Vom weiten Ausflug kehrt der Phönix nach Hause zurück, zu den im Haus beieinander sitzenden Repräsentanten der am Menschen wirkenden Kräfte, die sich nun im "jüngsten Gericht" scheiden müssen. Das Lied des Vogels lockt sie hervor wie zuvor die Handwerker aus ihren Werkstätten, und sie bekommen die Gaben, die sich der auferstandene Seelenvogel mit seinem "Evangelium" ersungen hat, zum Lohn ihres Wirkens an der Neugeburt des geistigen Menschen:
Der Vater, leiblicher Erfahrungsträger, nun auch am hellen Tage "bei sich" zuhause, bekommt die goldene Weisheitskette, Marlenchen erfreut sich des Paares roter Tanzschuhe, der Frau, die schon mit dem ersten Wetterleuchten dieses "Advents"die Enge nicht mehr erträgt, die im Kontrapunkt zu dem Verwundern und der Freude des Vaters und Marlenchens von Angst überwältigt wird, zusammenbricht und in Entsetzen auflodert, wird der Mühlstein übergeworfen, denn: "Wer einem dieser Kleinen, die an mich glauben, eine Falle (skandalon) stellt, dem wäre besser, daß ein Mühlstein um seinen Hals gehängt würde und er im tiefen Meer ersäuft würde. Wehe der Welt wegen der Fallen, denn es ist notwendig, daß Fallen zuschlagen; doch wehe dem Menschen, durch den die Falle zuschlägt!"

Siehe, ich stehe vor der Tür
und klopfe an. So jemand meine Stimme hören
und die Tür öffnen wird, zu dem werde ich eingehen
und das Mahl mit ihm halten
und er mit mir

(Apokalypse 3,20)


Liebe Grüße
Bettina

Rezitante und Musäusfan-ny
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